Die Geschichten liegen vor der Haustür“

Datum
07. November 2014
Autor*in
Nil Idil Cakmak
Thema
#JMT14
2014-11-06_Jessica Schober-1_blog

2014-11-06_Jessica Schober-1_blog

Jessica Schober im Gespräch mit Nil Idil Cakmak. (Foto: Kai Peters)

Jessica Schober ist freie Repor­terin für Maga­zine und Zeitungen wie Focus, Süddeut­sche Zeitung und Zeit Online. Für drei Monate und einen Tag war sie in Deutsch­lands Lokal­re­dak­tionen unter­wegs – ohne Auto, Handy, Laptop und Geld. Vorbild für ihre Reise war die Hand­wer­ker­tra­di­tion der Walz.

2014-11-06_Jessica Schober-1

Jessica Schober mit Nil Idil Cakmak. (Fotos: Kai Peters)

poli­ti­ko­range: Jessica, du bist gerade auf der Walz. Wie kamst du als Jour­na­listin auf die Idee dazu?

Jessica Schober: Ich bin auf der Wort­walz. Ich sage immer, dass ich keine echte Wander­ge­sellin bin, sondern als Jour­na­listin durch die Lokal­re­dak­tion tippele und dabei die Regeln der Walz einhalte. Vor andert­halb Jahren habe ich eine Bäcker­ge­sellin inter­viewt, davor wusste ich gar nicht, dass auch Frauen auf die tradi­tio­nelle Wander­schaft gehen. Mitt­ler­weile habe ich eine frei­rei­sende Buch­bin­derin, eine frei­rei­sende Land­wirtin, Stein­metze, Tischler und natür­lich Zimmer­männer getroffen.

Ich will jetzt anfangen, dazu­zu­lernen: Verschie­dene Meis­ter­be­triebe“ suchen und dort arbeiten. Auf der Jour­na­lis­ten­schule in München haben alle immer gesagt: Jour­na­lismus ist ein Hand­werk. Also spricht auch nichts dagegen, dass ich auf die Wort­walz gehe.

Was hast du bisher auf der Wander­schaft gelernt?

Das ist ganz schwer zu sagen, es gab so viele tolle Erleb­nisse. Gelernt habe ich, dass Lokal­jour­na­lismus nach wie vor etwas Groß­ar­tiges ist: Du bist ganz nah dran an den Menschen, du kannst jour­na­lis­tisch wahn­sinnig viel auspro­bieren und in den Redak­tionen gibt es ganz unter­schied­liche Arbeits­be­din­gungen. Manchmal habe ich ganz klas­si­sche Lokal­ter­mine besucht und bin zur Wald­be­ge­hung mit dem Gemein­derat und Lokal­po­li­ti­kern gegangen und habe mir alles über den Baum des Jahres 2014 erzählen lassen – der ist übri­gens die Trauben-Eiche. Andere Themen waren zum Beispiel, dass die letzte Kneipe im Ort bald schließt und ich dort noch ein letztes Bier trinke und dabei heraus­finde, was den Leuten wichtig ist. Ganz breit gestreute Themen, die man in dieser Band­breite nur im Lokal­jour­na­lismus kennen­lernt.

Es gibt in ganz Deutsch­land Menschen, die das mit wahn­sinnig viel Leiden­schaft machen. Ich habe schon viele ganz tolle Kollegen kennen­ge­lernt. An manchen Stellen habe ich aller­dings auch gedacht: Krass, wie wenig ich hier verdiene! Krass, unter welchen Bedin­gungen hier gear­beitet wird, wie viele Texte jeder am Tag raus­hauen muss. Es ist manchmal ein echt hartes Hand­werk. Begeis­tert war ich, wie freund­lich ich überall aufge­nommen wurde. Auch wenn manche Situa­tionen seltsam waren – ich habe immer einen Schlaf­platz bekommen.

Jessica-Schober-2_ZenoPensky

"Ich sehe mich selbst immer noch als angehende Journalistin." (Foto: Zeno Pensky)

Was ist das Beson­dere am Lokal­jour­na­lismus und möch­test du in der Rich­tung weiter­ar­beiten?

Eine Doppel­frage! Ich suche mir aus, worauf ich antworte – zu dem zweiten Teil kann ich noch gar nicht so viel sagen. Ich bin gerade noch voll auf die Reise fixiert, drei Monaten und einen Tag auf der Straße habe ich jetzt hinter mir. Eigent­lich sollte dieses Projekt beendet sein, aber ich will noch weiter reisen. Ob ich in einer Redak­tion fest ando­cken will, kann ich noch nicht sagen. Das Beson­dere am Lokal­jour­na­lismus ist für mich seine Viel­falt und die Nähe zu den Menschen. Die Geschichten liegen tatsäch­lich vor der Haustür. Was immer dir auffällt: Schreib darüber!

Wie stehst du zu Klischees über Lokal­re­porter? Muss man wirk­lich ständig Artikel über Kanin­chen­züchter oder Bürger­meister schreiben?

Zuerst einmal: Ich liebe Kanin­chen­züch­ter­ver­eine! Das Vereins­wesen in Deutsch­land ist insge­samt sehr span­nend und liefert auch viele Themen. Ich erin­nere mich an eine Seite Drei in der Süddeut­schen, wo Holger Gertz, dieser groß­ar­tige Reporter, über die Geschichte der Kanin­chen­züch­ter­ver­eine geschrieben hat, weil man darin die ganze Geschichte Deutsch­lands erkennen kann. Und da ist etwas dran: Wenn man die großen Zusam­men­hänge verstehen will, muss man sehen, wie die Dinge im Kleinen funk­tio­nieren. Die Figuren, die man da trifft, sind span­nend: Sei es ein Landrat, der Pfusch am Bau durch­ge­winkt hat, das hatte ich in einer Redak­tion, oder ein Tief­see­tau­cher. Du kannst den Menschen am Früh­stücks­tisch Geschichten erzählen, die vor ihrer Haustür passieren. Das ist ein wich­tiges Hand­werk im Jour­na­lismus und das wird auch nicht aussterben.

Was würdest du jungen Menschen wie uns mit auf den Weg geben? Wie kann man den Sprung in den Jour­na­lismus schaffen?

Ich sehe mich selbst immer noch als ange­hende Jour­na­listin. Mein Tipp ist: Traut euch! Geht dahin, wo die Bauch­schmerzen sind. Da, wo es am meisten zieht, lohnt es sich auch am meisten nach­zu­haken. Sucht euch Gleich­ge­sinnte. Niemand kann alles, mir haben auf meinem Weg auch sehr viele Leute geholfen. Und immer weiter­ma­chen. Ganz wichtig: Nicht auf das Krisen­ge­jammer hören! Das, worauf du am meisten Bock hast, kannst du auch am besten.


Empfohlene Beiträge

Artikel

Nah & fern: Unser Magazin ist online

Inka Philipp

Artikel

poli­ti­ko­range TV: Poetry Slam

Niklas Faralisch