Der Bundes­kon­gress Heimat 2020 – eine digi­tale Versamm­lung alter weißer Männer?!

Datum
16. September 2020
Autor*in
Dijana K.
Themen
#heimatkongress 2020 #Medien
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Der Online-Kongress dauert keine acht Minuten, hat 34 Zuschau­ende, schon gibt es das erste tech­ni­sche Problem: Die Verbin­dung zu einem der Vortra­genden bricht ab, man hört ihn nicht mehr, er redet weiter und denkt, man verstünde ihn einwand­frei. poli­ti­ko­range-Autorin Dijana hat sich die Veran­stal­tung näher ange­schaut.

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Bundeskongress digital – aus dem Home-Office. Foto: Dijana Kolak

Der Bund Heimat und Umwelt in Deutsch­land (BHU) orga­ni­siert den jähr­li­chen Heimat­kon­gress. Dieses Jahr findet er digital per YouTube-Live­stream statt. Der BHU kümmert sich um den Erhalt unserer Heimat, worunter die Instand­hal­tung der geogra­fi­schen Umge­bung, wie aber auch das Pflegen des kultu­rellen Erbes, zu verstehen sind. Geför­dert wird der BHU vom Bundes­mi­nis­te­rium des Inneren (BMI).

Thema des Kongresses ist Heimat in Europa“. Damit trifft der BHU zwei­fels­frei den Puls der Zeit. Doch beim genaueren Betrachten des Programms fällt einiges auf: Als Speaker*innen sind eindeutig mehr männ­lich gele­sene Personen geladen als weib­liche – meis­tens haben sie einen akade­mi­schen Hinter­grund. Außerdem sind kaum PoC oder Menschen, die jünger als 50 Jahre alt sind, zu finden.

Volkmar Vogel (CDU) ist parla­men­ta­ri­scher Staats­se­kretär im BMI und spricht zu Beginn. Seine Aufgabe: passende Gruß­worte bei der Begrü­ßungs­ver­an­stal­tung finden und somit zum ersten Panel hinleiten. Er richtet den Zuschau­enden schöne Grüße von Minister Horst Seehofer (CSU) aus, der auch der Schirm­herr der Veran­stal­tung ist. Er zitiert aus einem münd­li­chen Gespräch zwischen Seehofer und ihm selbst: Was ist Heimat, wenn es nicht Menschen gibt, die sich darum kümmern?“ Weiter heißt es im schrift­li­chen Gruß­wort des Bundes­in­nen­mi­nis­ters: Wir pflegen offene Grenzen und gute Nach­bar­schaft.“ Ein biss­chen unpas­send, wenn man bedenkt, in welchem kata­stro­phalen Zustand sich das Flücht­lings­lager Moria befindet und wie zöger­lich er als Bundes­in­nen­mi­nister der Aufnahme von 150 minder­jäh­rigen Geflüch­teten zustimmte.

Fach­pu­blikum statt nied­rig­schwel­lige Betei­li­gungs­mög­lich­keit

Die Diskus­sion an sich: wenig problem­ori­en­tiert, die Speaker*innen erzählen sich viel­mehr von ihren Tätig­keiten in ihren Posi­tionen. Das ist sicher­lich für die Vernet­zung der Verbände und Orga­ni­sa­tionen unter­ein­ander von Bedeu­tung, doch für neutrale – auch junge – Zuschau­ende eher weniger rele­vant. Auch ein Geschichts-Vortrag von Dr. Birgit Kastner über die Migra­ti­ons­be­we­gung von Klos­ter­stätten im Mittel­alter knüpft nicht an aktu­elle Problem­si­tua­tionen an.

Was man unter den Begriff Heimat“ versteht, wird nicht primär disku­tiert, viel­mehr die Frage, wie wir mit der Land­schaft umgehen, die uns umgibt und auch, wie wir kultu­relles Erbe schützen können. Ob dieses über­haupt benö­tigt wird oder wie sinn­voll dieser Schutz ist, wird nicht hinter­fragt.

Beson­ders aufge­wertet wird der Kongress durch die persön­li­chen Impres­sionen, die die Spre­chenden mit dem Wort Heimat“ verbinden. So erzählt zum Beispiel Dr. Cornelia Nenz über den Heimat­ver­lust ihrer Familie während der Nazi-Zeit. Auch Frau Dr. Tagrid Yousef, welche Inte­gra­ti­ons­be­auf­tragte der Stadt Krefeld ist, sprach über die Migra­ti­ons­ge­schichte ihrer Familie und berei­cherte den Austausch mit persön­li­chen Eindrü­cken und Anek­doten. Sie näherte sich auf philo­so­phi­sche Weise der Frage, was Heimat über­haupt ist.

Dass der Kongress nicht für junge Menschen gedacht, sondern viel­mehr ein Fach­aus­tausch ist, merkt man nicht nur an der Auswahl der Spre­chenden und der Themen, sondern auch an der Termin­set­zung: Der Live­stream fand an einem Montag und Dienstag werk­tags statt, jeweils sechs Stunden lang wird getagt.

Mehr Ange­bote für junge Menschen auf der Agenda

Welche Ziele verfolgt ein solcher Kongress? Dr. Mari­anne Tabaczek war als wissen­schaft­liche Refe­rentin Kultur­land­schaft, Natur und Umwelt beim Bund Heimat und Umwelt maßgeb­lich an der Planung des Online-Kongresses betei­ligt. Sie war mit für die Orga­ni­sa­tion und Durch­füh­rung des Kongresses zuständig. Ziel des Kongresses ist es, aktu­elle Themen, Prozesse und Situa­tionen, die den BHU und seine Mitglieds­ver­bände beschäf­tigen, mit Akteuren aus Part­ner­ver­bänden, Politik und Verwal­tung zu disku­tieren, und die Akteure mitein­ander ins Gespräch zu bringen“, berichtet sie und fährt fort: Wir haben den Anspruch, Exper­tinnen und Experten aus Politik, Verwal­tung, Wissen­schaft und Zivil­ge­sell­schaft zusam­men­zu­bringen.“ Dabei solle der Zugang möglichst nied­rig­schwellig erfolgen, betont Tabaczek und bewertet den ersten digi­talen Fach­kon­gress durchweg als positiv: Der Kongress hat schon jetzt zu neuen Koope­ra­tionen geführt, das ist wichtig für unsere Arbeit und zählt unter Erfolg des Kongresses. Unterm Strich bewerten wir den Kongress als Erfolg, sind aber sicher noch stei­ge­rungs­fähig.“

Dass die Veran­stal­tung insge­samt sehr weiß und eher von älteren Männern domi­niert wurde, konnte die Refe­rentin nicht abstreiten: Das Thema Verjün­gung von Vereinen und die verstärkte Entwick­lung von Ange­boten für Kinder und Jugend­li­chen haben wir auf unserer Agenda, sie sind expli­zites Ziel unserer Verbands­stra­tegie.“

Im Hinblick auf eine viel­fäl­tige und kontro­verse Veran­stal­tung ist zu hoffen, dass der BHU diesem Ziel bald näher kommt und dadurch weitaus diver­sere Perspek­tiven einnimmt.


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