Auf der Ziel­ge­raden

Datum
26. September 2021
Autor*in
Christian Lütgens
Themen
#BTW21 #Wahlen
Annika Klose steht mit ihrem Wahlkampfteam vor dem Stand der SPD und posiert für eine Kamera außerhalb des Bildes.

Annika Klose steht mit ihrem Wahlkampfteam vor dem Stand der SPD und posiert für eine Kamera außerhalb des Bildes.

Instagram und Vorschaubild. Foto: Christian Lütgens

Die Bundes­tags­wahl steht vor der Tür, der Wahl­kampf befindet sich im Endspurt. Für die SPD stehen die Chancen nicht schlecht, führender Teil der nächsten Bundes­re­gie­rung zu sein. Chris­tian Lütgens ist unter­wegs mit einer, die genau dafür kämpft.

Annika Klose steht vor ihrem Wahlkampfstand. Links sieht man eine Litfaßsäule, im Hintergrund ein Café.

Annika Klose will mit ihrer SPD in den Bundestag. Dafür kämpfte monatelang, hier bei einem ihrer letzten Auftritte im Berliner Wedding. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christian Lütgens

Im Wedding an der Halte­stelle U‑Seestraße pulsiert das Leben. Zwischen Fern­seh­turm und Döner Adora Kumru schwirren Autos und E‑Roller. Dazwi­schen: Unzäh­lige Menschen, die über die Straße drängen. Wer vor dem Cine­plex Alhambra stehend genau hinhört, spürt den Asphalt von der U6 unter sich vibrieren. Da habe ich neulich meinen eigenen Spot gesehen“, sagt Annika Klose. Die 29-jährige steht mit Jeans­jacke und roter Bluse vor dem gläsernen Kino und macht Werbung. Werbung für sich und ihre Partei, die SPD. Und wenn man die ehema­lige Landes­vor­sit­zende der Berliner Jusos fragt, dann läuft es nicht schlecht.

Gemeinsam mit ihrem Team steht sie zwischen grün-leuch­tender Ampel und rotem Info­stand, sie macht Wahl­kampf auf den letzten Metern, bevor am Sonntag die Wahl beginnt. Leute anspre­chen, Flyer und Kugel­schreiber in die Hand drücken, mit Menschen disku­tieren, sie über­zeugen. Das ist der Modus, den Klose im Wahl­kampf in den letzten Wochen trai­niert hat. Aber ist das so kurz vor der Wahl noch erfolg­ver­spre­chend? Klar, viele hätten sich schon per Brief­wahl entschieden, erzählt Klose, während sie gleich­zeitig vorbei­ei­lenden Passant*innen Info­ma­te­rial mit ihrem Gesicht in die Hände drückt. Es komme auf jede einzelne Stimme, in diesem Jahr mehr denn je. Sie strahlt, als sie das erzählt.

121 Sekunden dauert der Werbe­spot, der sie als Bundes­tags­kan­di­datin für den Bezirk Berlin-Mitte vorstellt. Neulich hat sie ihn im Kino gesehen. Der Film danach sei auch ganz gut gewesen, es lief Dune. Ein Science-Fiction-Epos, für den bereits mehrere Fort­set­zungen ange­kün­digt wurden. Die Verleiher erwarten, dass der Film ein zahlen­mäßig großer Erfolg wird. Und irgendwie passt das ja, zu Annika Klose und vor allem: zu ihrer SPD.

Sozialdemokrat*innen führen Umfragen plötz­lich wieder an

Nicht allzu lange ist es her, da dümpelte die eins­tige Volks­partei bei 15 Prozent vor sich hin. Olaf Scholz war ein Kanz­ler­kan­didat der weder für Erneue­rung noch für Charisma stand. Und heute? Olaf Scholz ist Olaf Scholz“, beschreibt einer aus Kloses Team nüch­tern ihren Anwärter für des Bundes­kanz­leramt und wünscht sich eigent­lich etwas mehr Pomp. Aber eigent­lich ist das egal, die Zustim­mungs­werte stimmen. Mitt­ler­weile. Ein unauf­ge­regter SPD-Wahl­kampf, der nicht durch Fehler unter­bro­chen ist, das reicht in diesem Jahr offenbar schon. So einfach kann eine Kanzler-Kandi­datur sein.

Es werden zwar auch Schwer­punkte auf Inhalte gelegt, Mindest­lohn und sichere Renten wären zu nennen. Doch in erster Linie ist die SPD-Kampagne getrieben von der Perso­nalie Olaf Scholz. Kanzler für Deutsch­land, plaka­tiert die Partei auf groß­flä­chig im Land. Der ehema­lige erste Bürger­meister von Hamburg und amtie­render Bundes­fi­nanz­mi­nister imitiert schon mal öffent­lich und im vollen Bewusst­sein die Raute der Kanz­lerin, spricht in Talk­shows so unauf­ge­regt wie sie.

Das Konzept der SPD: Unauf­ge­regt durch den Wahl­kampf

An der großen Kreu­zung U‑Seestraße schaltet die Ampel auf rot, ein türki­scher Hoch­zeits­korso bret­tert hupend vorbei. Aber das Konzept Olaf Scholz funk­tio­niert, findet Annika Klose, findet ihr Team. Teil dieses Konzeptes ist: Es wird nicht so viel über den Noch-Vize-Kanzler geredet, auch nicht am Sams­tag­abend vor der Wahl am Wahl­stand im Wedding.

Die Menschen im Kiez bewegen andere Dinge, sagt Annika Klose. Mieten seien ein Thema, bei dem alle derselben Meinung sind. Runter sollen sie, notfalls auch per bundes­weitem Mieten­stopp. Selbst im SPD-regierten Berlin hat das bisher nicht geklappt hat, aber das wird nicht so laut gesagt. Auf Klima­schutz ange­spro­chen berichtet die Bundes­tags­kan­di­datin, dass sie die Menschen gespal­tener wahr­nehme. Manche wollten noch stren­gere Maßnahmen, andere sich etwa in ihrer Mobi­lität nicht einschränken lassen. Wir haben einen guten ÖPNV hier“, findet Klose. Doch für manche sei das Auto, auch Status­symbol, gerade im Wedding mit seinen bunten Milieus.

Der Besuch bei Annika Klose neigt sich langsam dem Ende, verein­zelt stehen noch Inter­es­sierte umher, spre­chen mit ihr oder ihrem Team. Sie nehmen sich für jede*n Einzelne Zeit. Auch wenn das nach mona­te­langem Wahl­kampf nicht immer einfach ist. Es habe Nächte gegeben, in denen Annika Klose fünf Stunden geschlafen hat.

In 24 Stunden wird es die ersten Hoch­rech­nungen geben. Mit welchem Gefühl geht sie heute Abend ins Bett? Scholz wird’s.“ Und auch für das Direkt­mandat in Ihrem Wahl­kreis stimmt das Bauch­ge­fühl.

Während die Abend­sonne die Wolken im Wedding noch einmal golden erstrahlen lässt, sortiert Kloses Team Goodies, packt Kugel­schreiber und Knop­pers wieder ein., Da laufen noch drei Kinder auf den Info­stand zu. Die Sozialdemokrat*innen haben ein XXL-Jenga aufge­baut. Auf jedem einzelnen Klotz stehen die Ziele, die Klose im Bundestag mit ihrer Partei umsetzen will, 365-Euro-ÖPNV-Ticket“ oder Sanie­rung unserer Sport­stätten“ . Zum Jenga-Spielen ist jetzt keine Zeit mehr, aber SPD-rote Luft­bal­lons gibt es noch. Eine von den dreien läuft glück­lich zurück zur Mutter und macht dabei einen Freu­den­sprung. Viel­leicht kein schlechtes Omen für Annika Klose und ihre SPD.


Empfohlene Beiträge

Artikel

Der Sonnen­könig der Freien Wähler

Niklas Hüsam

Artikel

Berlin-Wahl: Strah­lende Verlierer*innen

Alexander Kloß

Artikel

Die Kunst des modernen Wahl­kampfes

Kristin Finke

Artikel

Eine rosige Zukunft?

Charis Ann Gibson

Artikel

Höhen­flug für die Minder­heit

Eileen Linke