Winter­schluss­ver­kauf in der Migra­ti­ons­po­litik

Datum
30. November 2018
Autor*in
Luis Schneiderhan
Thema
#JMWS18
Ali Cans neues Buch:
"Hotline für besorgte Bürger - Antworten vom Asylbewerber Ihres Vertrauens"

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Dein Land, Deine Zukunft, Jetzt!“ so heißt die Werbe­kam­pagne des Bundes­in­nen­mi­nis­te­riums (BMI). Insge­samt sind 2.400 Plakate in achtzig verschie­denen deut­schen Städten zu finden und stoßen oftmals auf Kritik. Luis Schnei­derhan hat nach­ge­hakt.

An Bushal­te­stellen oder an Bahn­gleisen sind sie häufig zu sehen. Blau-weiße Plakate mit der oben genannten Aufschrift in sieben verschie­denen Spra­chen: Deutsch, Englisch, Fran­zö­sisch, Arabisch, Russisch, Paschtu und Farsi. Die Sprach­aus­wahl orien­tiert sich laut Bundes­mi­nis­te­rium für Inneres, Bau und Heimat (BMI) an den Spra­chen, die von den Migranten und Migran­tinnen in den meisten Herkunfts­län­dern und ‑regionen verstanden werden. Ein gezacktes Band mit verschie­denen Landes­flaggen zieht sich durch die linke Bild­hälfte. Vorne mit dabei: die Flaggen von Afgha­ni­stan, Russ­land, Irak, Libanon, Indien und der Türkei. Links das Logo des BMI, rechts das Logo der Kampagne Rück­kehr“.

Deine Zukunft – ja was für eine Zukunft ist das genau?“, fragt sich die Poli­to­login Hannah Hübner. Zusammen mit ihrem Team hat sie die Peti­tion Weg mit den Rück­kehr­pla­katen des Bundes­in­nen­mi­nis­te­riums“ ins Leben gerufen, die bis Anfang Dezember 2018 27.000 Menschen unter­schrieben hatten. Eine Zukunft, geprägt von Menschen­rechts­ver­let­zungen und Terro­rismus“ stehe hinter den positiv gezeich­neten Plakaten, wenn diese Menschen in ihr Heimat­land zurück­kehrten, sagt sie. Die Werbung gab es erst seit dem 1. September 2018, die Initia­tive schon länger.

Wie alles begann

Das Bundes­mi­nis­te­rium für Migra­tion und Flücht­linge (BAMF) unter­stützt Migran­tinnen und Migranten seit 2013 finan­ziell und orga­ni­sa­to­risch – und zwar mit der Initia­tive Frei­wil­lige Rück­kehrer“ bei der Rück­füh­rung ins Heimat­land. Die Vorteile laut BMI: Zuge­hö­rige Reinte­gra­ti­ons­pro­gramme helfen bei der nach­hal­tigen sozialen und wirt­schaft­li­chen Wieder­ein­glie­de­rung – beispiels­weise durch psycho­lo­gi­sche und soziale Bera­tung, Wohnungs­miete und ‑ausstat­tung oder finan­zi­elle Zuschüsse für Medi­ka­mente.

Im letzten Jahr warb das BMI zusätz­lich mit einem Sonder­pro­gramm: Bis zum 31. Dezember 2018 konnten Sonder­leis­tungen im Bereich Wohnen finan­ziert werden. Einzel­per­sonen erhielten einen Wohn­zu­schlag von 1000 Euro, Fami­lien bis zu 3000 Euro, wenn sie bis dahin frei­willig ausreisten. Die Plakate erin­nern Hübner an Werbung: Rück­kehr ist aber kein Produkt, das man zu Weih­nachten kauft.“ Das Thema sei zu komplex und sensibel, um es in einem Plakat zusam­men­zu­fassen.

Das kann weg.“

Wird für weniger Viel­falt in Deutsch­land geworben? Der Abge­ord­nete Uli Grötsch (SPD) bejaht dies. Zusätz­lich setze das BMI ein Zeichen gegen deut­sche Will­kom­mens­kultur. Auch weitere Bundes­tags­ab­ge­ord­nete, darunter André Hahn (Linke) und Saskia Esken (SPD), bezeichnen die Werbe­kam­pagne als unter­ir­disch“. Das Parla­ment habe keinen Einfluss auf die Werbe­kam­pagne gehabt. Dafür habe Horst Seehofer (CSU) umso mehr zu sagen, meint Hübner. Als Innen­mi­nister habe er die Ober­hand über das BMI und er sei sehr mono­the­ma­tisch unter­wegs“. Hahn warnt, wer versuche die AfD zu über­holen, solle aufpassen, dass er dieser Partei nicht noch mehr Stimmen zuspricht.

Laut einem Spre­cher des BMI richte sich die Plaka­tie­rung insbe­son­dere an ausrei­se­pflich­tige Menschen, bei denen behörd­lich fest­ge­stellt wurde, dass kein Aufent­halts­recht in Deutsch­land besteht. Wenn diese Ausrei­se­pflich­tigen Deutsch­land verließen, gebe es mehr Aufnah­me­mög­lich­keiten für tatsäch­lich Schutz­be­dürf­tige“, gab das BMI auf Anfrage von poli­ti­ko­range an. In Deutsch­land befinden sich derzeit 235.000 ausrei­se­pflich­tige Menschen, darunter sind 57.000 nicht geduldet. Recht­mäßig in Deutsch­land lebende Personen sind über­haupt nicht Ziel dieser Kampagne“, sagt der Bundes­tags­ab­ge­ord­nete (CDU) und Mitglied im Innen­aus­schuss Alex­ander Throm. Selbst­ver­ständ­lich sei deren Aufent­halt nicht in Frage gestellt.

Das BMI sieht seine Aufgabe darin, die Menschen über ihre Möglich­keiten zu infor­mieren, was mithilfe der Plakate flächen­de­ckend möglich sei. Für Throms ist dies im Gegen­satz zur zwangs­weisen Rück­füh­rung das mildere Mittel“. Die CDU-/CSU-Frak­tion, versi­chert Throm, sehe es als selbst­ver­ständ­lich, denje­nigen zu helfen, die durch Krieg gefährdet seien. Jedoch gelte das nicht für Menschen, die nur für ein wirt­schaft­lich besseres Leben nach Europa kommen wollen.“

Die SPD-Abge­ord­nete Esken räumt in einem Tweet ein, dass mit der Plakat­kam­pagne sogar im digi­talen Zeit­alter Aufmerk­sam­keit erzeugt werden konnte, auch wenn das weg kann“.

Weiteres Vorgehen der Kriti­ke­rinnen und Kritiker

Trotz ihrer reich­li­chen Kritik ist Hübner nicht voll­ends gegen das Programm der Frei­wil­ligen Rück­kehr: Ich halte es nach wie vor für total wichtig, dass es trans­pa­rente Infor­ma­tionen zum Thema gibt. Das ist für viele Menschen rele­vant.“ Die Plakate aller­dings seien irre­füh­rend und bestärkten viel­mehr rechte Denk­muster. Auch das Deut­sche Rote Kreuz (DRK) sieht das ähnlich. Anstelle des Versuchs, schnell und kurz­fristig gestei­gerte Ausrei­se­zahlen zu erzeugen sollte der Schwer­punkt auf Reinte­gra­tion in den Heimat­län­dern liegen“, sagt der Team­leiter der Migra­ti­ons­be­ra­tung des DRK, Sebas­tian Koch. Das DRK berät in ihren soge­nannten Perspek­tiv­be­ra­tungen nicht nur über Rückkehr‑, sondern auch über Bleib­e­mög­lich­keiten.

Hübner und ihrem Team reicht das jedoch nicht. Sie fordern mit #Deine­Zu­kunftoh­ne­Horst einen Perso­nal­wechsel an der Spitze des Innen­mi­nis­te­riums. Sie wollen einen Innen­mi­nister, der sich für alle Menschen im Land verant­wort­lich fühlt – so auch Geflüch­tete und Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Weitere Kampa­gnen zur frei­wil­ligen Rück­kehr schließt das BMI derweil nicht aus.

Die Peti­tion ist am BMI nicht vorbei­ge­gangen. Noch im Dezember luden sie Hübner und ihr Team zu einem Gespräch ein, bei dem sie die Unter­schriften über­gaben, Kritik äußerten und über mögliche Alter­na­tiven für eine bessere Bear­bei­tung des Themas Rück­kehr redeten. Mit am Tisch saßen Chris­tian Klos, der Leiter des Stabes Rück­kehr und Steve Alter, Pres­se­spre­cher des Innen­mi­nis­te­riums sowie Vertre­te­rinnen und Vertreter von Migran­ten­ver­bänden. Hübner äußerte sich dazu schrift­lich auf der Inter­net­plat­form change​.org, auf der sie ihre Peti­tion gestartet hatte. Das Minis­te­rium habe die Kritik zur Kenntnis genommen, ist dabei jedoch nicht von seinem Stand­punkt abge­rückt, dass ihre Rück­kehr-Werbung gut und sinn­voll ist.“, so Hübner. Die Akti­vis­tinnen und Akti­visten um Hübner appel­lierten, bei der weiteren Bear­bei­tung des Themas Rück­kehr die Meinung und Bedürf­nisse von Betrof­fenen einzu­be­ziehen. Laut Hübner sei aller­dings nicht absehbar, ob dies in Zukunft der Fall sein wird.