Wie entsteht der Wahl-O-Mat?

Datum
05. Oktober 2021
Autor*in
Christine Laqua
Themen
#BTW21 #Medien
Ein Laptop auf einem Schreibtisch. Der Laptop zeigt den "Wahl-O-Mat". Im Vordergrund hält eine Hand eine Orange.

Ein Laptop auf einem Schreibtisch. Der Laptop zeigt den "Wahl-O-Mat". Im Vordergrund hält eine Hand eine Orange.

Jugendpresse Deutschland e. V./Christopher Folz

21,3 Millionen Menschen haben den Wahl-O-Mat zur Bundes­tags­wahl 2021 benutzt. Die 38 Thesen für den Partei­en­ver­gleich sind im Home­of­fice entstanden. Chris­tine Laqua schaut hinter die Kulissen. 

Ein Laptop auf einem Schreibtisch. Der Laptop zeigt den "Wahl-O-Mat". Im Vordergrund hält eine Hand eine Orange.

Deutschlands meist genutztes Hilfsmittel bei der Wahlentscheidung entsteht innerhalb von einem halben Jahr. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Klap­pernde Tasta­turen, Stra­ßen­lärm im Hinter­grund. Lea Schrenk, Martin Hette­rich und Pamela Brandt sitzen mit Kaffee­tassen vor ihren aufge­klappten Laptops. Es ist zehn Uhr, eine Tele­fon­kon­fe­renz steht an. Die drei Projektleiter*innen sitzen zwischen ihren Zimmer­pflanzen auf dem Sofa oder am Küchen­tisch und bespre­chen letzte orga­ni­sa­to­ri­sche Details für die kommende Woche. So oder so ähnlich mag der Alltag im Entste­hungs­pro­zess des Wahl-O-Mat ausge­sehen haben, denn 2021 ist das Tool im Home­of­fice entstanden. Der Wahl-O-Mat der Bundes­zen­trale für Poli­ti­sche Bildung (bpb) zur Bundes­tags­wahl 2021 entsteht am Puls des poli­ti­schen Gesche­hens zwischen Berlin und Bonn. Bis zum 27. September 2021, dem Montag nach der Wahl, haben rund 21,3 Millionen Menschen auf den Button zu Ihrem Ergebnis“ geklickt, um sich über ihre Partei­prä­fe­renzen zur Bundes­tags­wahl zu infor­mieren. Ein sicht­li­cher Erfolg, 2017 waren es nur 15,8 Millionen. Aber wie entsteht Deutsch­lands meist­ge­nutzte Wahl­ent­schei­dungs­hilfe?

Durch die Corona-Pandemie findet alles virtuell statt

Los geht es ein halbes Jahr vor der Wahl. Die Projektleiter*innen beauf­tragen Dienstleister*innen, kontak­tieren die Parteien für erste Infor­ma­tionen und schreiben die Redak­tion für den Wahl-O-Mat aus. Diese wird dieses Jahr durch die Kombi­na­tion aus Jungwähler*innen und Expert*innen eine bunte Mischung aus Leuten unter­schied­li­chen Alters und Hinter­gründen sein. Wir haben Schüler*innen und Studie­rende dabei, aber auch Auszu­bil­dene und Berufs­tä­tige. Die älteste Person in der Redak­tion ist 60 Jahre alt“, erzählt Lea Schrenk, die zusammen mit Martin Hette­rich und Pamela Brandt in diesem Jahr die Verant­wor­tung für das Projekt trägt. Dieses Jahr werden sich alle durch die Corona-Pandemie nur online treffen.

Nächstes Jahr feiert der Wahl-O-Mat seinen 20. Geburtstag. Bis dahin wird er über 85 Millionen Mal die Frage beant­wortet haben, welche Parteien am meisten mit der Beant­wor­tung der 38 Thesen der Nutzer*innen über­ein­stimmen. Ins Leben gerufen wurde er 2002, um die Wahl­be­tei­li­gung der jungen Wähler*innen zu erhöhen. Deshalb erar­beiten bis heute 20 bis 25 junge Menschen zusammen mit Expert*innen aus Politik, Bildung und Forschung die Inhalte des Wahl-O-Mat. Auf einen Platz in der Redak­tion als Jungwähler*innen können sich alle Wahl­be­rech­tigten bis 26 Jahre bewerben. 

Bei der Entschei­dung wird es emotional

Lea Schrenk im Gespräch mit einem Redakteur von politikorange.

Wenn der Wahl-O-Mat online ist, beginnt die Pressearbeit: Zum Beispiel mit einem Besuch in der politikorange-Redaktion von Projektleiterin Lea Schrenk. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Im ersten von zwei Work­shops drei Monate vor der Wahl nimmt die Redak­tion die Wahl­pro­gramme der Parteien ausein­ander. Zum Schluss entstehen 80 Thesen, die das gesamte Themen­spek­trum der Wahl­pro­gramme abbilden sollen. Bei der Schluss­ent­schei­dung kann es dann auch mal emotional werden“, so Schrenk. Es wird lange disku­tiert, welche Themen aus den Wahl­pro­grammen die Band­breite der gesell­schaft­li­chen Ange­le­gen­heiten am besten beschreiben. Welches Thema kommt beson­ders häufig vor? Wie wird die These für alle verständ­lich formu­liert? 

Wenn die finale Entschei­dung getroffen wurde, werden alle 80 Thesen an die einzelnen Parteien geschickt. Diese müssen die Thesen in zwei bis drei Wochen mit stimme zu“, neutral“ oder stimme nicht zu“ beant­worten und jeweils in einer kurzen Antwort Stel­lung nehmen. Die drei Projektleiter*innen über­nehmen dabei die Kommu­ni­ka­tion. Zur Bundes­tags­wahl haben sie über hundert Mails mit den 40 zur Wahl zuge­las­senen Parteien hin und her geschickt. Der Austausch mit den Parteien funk­tio­niere dabei sehr gut, berichtet Schrenk. Sie seien sehr offen und sie und ihre Kolleg*innen gelten als die, die das Tool kennen.“ Den Parteien ist nicht nur ange­sichts der hohen Nutzer*innenzahl wohl bewusst, wie wichtig ihre pass­ge­naue Antwort der Thesen ist. Manch eine erhofft sich mögli­cher­weise eine Auswir­kung auf die Wahl­ent­schei­dung durch den Wahl-O-Mat – aber inwie­fern ist das über­haupt möglich? 

Ein Beitrag zur poli­ti­schen Bildung

Eine Studie der Data Science Lab der Hertie School hat heraus­ge­funden, dass die Auswir­kungen des Wahl-O-Mat auf die Wahl­er­geb­nisse sowie die Wahl­be­tei­li­gung gering seien. Aller­dings erhöhe sich durch die Nutzung der Wahl­ent­schei­dungs­hilfe das Wissen der Teil­neh­menden über die Posi­tionen der Parteien zu den Thesen. Nach der Studie leistet der Wahl-O-Mat also in erster Linie einen Beitrag zur poli­ti­schen Bildung – ganz im Sinne der Projektleiter*innen des Tools. Die User*innen sollen ihre Entschei­dung selbst treffen und eher ange­regt werden, sich weiter über Politik zu infor­mieren“, erklärt Schrenk. Am Wahl-O-Mat selbst solle man nicht fest­ma­chen, wen man letzt­end­lich wählt.

Eine Woche vor Launch des Wahl-O-Mat wird es dann noch einmal laut vor den Bild­schirmen der Redak­tion. Nachdem alle Parteien geant­wortet haben und ihre Antworten auf Stim­mig­keit mit ihren State­ments kontrol­liert wurden, kommen wir wieder zusammen und berat­schlagen, welche 38 Thesen den Nutzer*innen letzt­end­lich zur Auswahl stehen“, berichtet Schrenk. Wie stehen die Deut­schen zum Tempo­limit auf der Auto­bahn oder zum Wahl­alter ab 16 Jahren? Dabei geht es vor allem um die Kontro­verse. Thesen, bei denen die Parteien sich grund­sätz­lich einig sind, fliegen raus. In die finale Auswahl schaffen es die Thesen, bei denen die Parteien sich trenn­scharf uneinig sind. Das führt regel­mäßig zu Kritik. Im Wahl-O-Mat zur Bundes­tags­wahl findet sich zum Beispiel keine These zum Themen­feld Kultur“ bemän­gelt der Deut­sche Kulturrat. Er wirft dem Wahl-O-Mat deshalb Kultur­lo­sig­keit vor, er igno­riere die Bedeu­tung der Kultur­po­litik bei der Bundes­tags­wahl.

Der Launch wird am Telefon gefeiert

Obwohl der Wahl-O-Mat zur Wahl­mo­ti­va­tion junger Menschen ins Leben gerufen wurde, nutzen auch ältere Personen das Tool für ihre Wahl­ent­schei­dung. Zwei Drittel der Wahl-O-Mat-Nutzer*innen sind über 30 Jahre, ein Viertel sogar über 50. Etwa die Hälfte nutzt ihn, um den eigenen Stand­punkt zu über­prüfen. Bei etwa 90 Prozent der Nutzer*innen stimmt das Ergebnis mit ihrer poli­ti­schen Posi­tion genau oder unge­fähr überein.

Wie der Wahl-O-Mat bei den Nutzer*innen ankomme, sei jedes Jahr aufs Neue span­nend, sagt Lea Schrenk. Schließ­lich haben sie mona­te­lang daraufhin gear­beitet. Den Launch des Wahl-O-Mat drei­ein­halb Wochen vor der Bundes­tags­wahl hätten sie am Telefon gefeiert. Ich hoffe sehr, dass wir das noch persön­lich nach­holen können“, wünscht sie sich. 

Und was passiert nach der Wahl? Schrenk und ihre Kolleg*innen sitzen dann hoffent­lich nicht mehr zwischen Zimmer­pflanzen und am Küchen­tisch, sondern wieder zu dritt im Büro in der Fried­rich­straße in Berlin. Denn der nächste Wahl-O-Mat steht an: In genau sechs Monaten ist Land­tags­wahl im Saar­land. 


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