WAS IST EIGENT­LICH DEMO­KRATIE?

Datum
08. Mai 2017
Autor*in
Julia Barthel
Thema
#JPT17
Hier wird Demokratie sichtbar: Beim Abstimmen. Foto: Lucas Bäuml

Hier wird Demokratie sichtbar: Beim Abstimmen. Foto: Lucas Bäuml

Hier wird Demokratie sichtbar: Beim Abstimmen. Foto: Lucas Bäuml

Junge Menschen fordern ihr Recht ein, gehört zu werden – schließ­lich ist Deutsch­land eine demo­kra­ti­sche Gesell­schaft. Aber was verstehen wir eigent­lich unter Demo­kratie? Unsere Autorin Julia Barthel hat sich auf die Suche nach Antworten begeben.

Mehr oder weniger als nur wählen: Demokratie ist mehr! Foto: Johannes Kolb

Demokratie ist mehr als nur wählen.                                               Foto: Johannes Kolb

Demo­kratie – kompli­zierter als gedacht

Für uns junge Deut­sche ist es selbst­ver­ständ­lich, dass wir in einer Demo­kratie leben. Warum das so ist und wie das genau funk­tio­niert, ist eigent­lich egal. So dachte auch Inga Glökler (21), Teil­neh­merin der #jpt17, lange: Für mich war Demo­kratie ganz lange eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Ich fand es schon wichtig, zu den Wahlen zu gehen – das war halt aber einfach so. In der letzten Zeit ist mir aber klar geworden, dass es etwas ist, wofür man auch kämpfen muss. Ich glaube, dass wir schon relativ viele Möglich­keiten haben, uns einzu­bringen.“

Auf der Suche nach einer Antwort im Internet, was eigent­lich Demo­kratie ist, erscheinen bei Wiki­pedia mehr als 20 Seiten Text. Demzu­folge bezeichnet Demo­kratie ein poli­ti­sches System, in dem Macht und Regie­rung vom Volk ausgehen. Fragt man die 450 jungen Menschen, die sich an diesem Wochen­ende in der Haupt­stadt treffen, dann würde das sicher­lich noch mehr Seiten füllen. Die Jugend­li­chen bringen viele verschie­dene Ansichten mit. Für Sean Siemers (16) ist Demo­kratie in Deutsch­land vor allem Partei­en­po­litik, in der man seine Inter­es­sen­ver­treter und ‑vertre­te­rinnen wählt. Marina Stumpp (20) meint: Demo­kratie ist, dass jeder frei ist, zu tun, was er möchte – also sich selbst zu verwirk­li­chen, seine Meinung frei zu äußern und dazu beitragen zu können, wie das Land sich entwi­ckelt, wie die Politik geführt wird“. Lara Treppner (23) möchte nicht nur selbst mitreden, sondern auch andere Menschen dazu auffor­dern: Man darf auch mal pene­trant sein, weil viele Menschen eine Scheu davor haben, sich poli­tisch zu betei­ligen. Oder sie äußern sich nicht zu irgend­wel­chen Themen, weil sie Angst haben, etwas Falsches zu sagen. Darum geht es aber über­haupt nicht. Jeder muss verstehen, dass seine Stimme genauso wichtig ist wie die eines anderen.“ Und es sei wichtig, dass jeder eine eigen­stän­dige Entschei­dung treffen darf, ohne beein­flusst zu werden, ergänzt Marie-Sophie Wüppger (17). Demo­kratie bedeutet für mich auch, dass die Mehr­heit der Menschen entscheidet, dass aber trotzdem auf die Wünsche und Bedürf­nisse der Minder­heiten einge­gangen werden“, erklärt Moritz Heim­bä­cher (25).

Demo­kratie kann man lernen

Demo­kratie hat viele verschie­dene Facetten und den Jugend­li­chen fällt es schwer, den abstrakten Begriff einfach oder sogar eindeutig zu defi­nieren. Aber warum ist das so? Wir denken in der Regel, wir sind ganz dolle Demo­kraten – und wenn es dann auf den Punkt kommt, sind wir es eben nicht“, erklärt Juli­ette Brungs. Sie ist Demo­kra­tie­trai­nerin und kümmert sich um Fort­bil­dungen für Sport­ver­eine oder für Lehre­rinnen und Lehrer. In ihren Trai­nings regt Brungs die Teil­neh­menden an nach­zu­denken und das zu reflek­tieren, was sie jeden Tag tun: Ist es grund­sätz­lich in Ordnung, das alle gleich behan­delt werden? Was ist gleich, was ist gerecht? Ist es gerecht, wenn ich ungleiche Voraus­set­zungen habe und dann gleich behan­delt werde?“ Die Antwort liefert sie gleich mit: Nicht zwin­gend.“ Demo­kratie ist eine komplexe Ange­le­gen­heit, es gibt viel zu disku­tieren. Natür­lich gibt es immer wieder auch demo­kra­tie­feind­liche Gesprächs­partner und ‑part­ne­rinnen. Wie man damit umgeht, ist laut Brungs eine Heraus­for­de­rung für jede Demo­kratin und jeden Demo­kraten“. Häufig stellt Brungs in ihren Trai­nings fest, dass die meisten Menschen gar nicht wissen, wie man es regeln soll, dass alle gleich­be­rech­tigt mitma­chen können.

Um richtig verstehen zu können, was genau Demo­kratie ist, vermit­telt sie theo­re­ti­sches Hinter­grund­wissen über Geschichte und Formen der Demo­kratie. Brungs ist davon über­zeugt, dass es ein wich­tiger Anfang ist zu lernen, wie Demo­kratie über­haupt funk­tio­niert. Das kann man auch für sich alleine tun: Bücher lesen en masse finde ich eine gute Sache, aber auch Diskus­sionen sind wichtig – sich anein­ander reiben und mitein­ander ins Gespräch kommen, viel­leicht auch in einen konstruk­tiven Streit geraten.“ Zum Beispiel auch über den tägli­chen Konflikt zwischen Hier­ar­chie und demo­kra­ti­scher Parti­zi­pa­tion, also wie Teil­habe in einem demo­kra­ti­schen System verstärkt erreicht werden kann. Wie verhan­delt man das? Seine persön­liche Grenze muss dabei jeder selbst ziehen und für sich selbst entscheiden: Wie viel kann ich aushalten und womit möchte ich nicht umgehen?“. Dann müsse auch jeder die Möglich­keit haben, zurück­zu­treten und zu sagen: Stopp, das geht mir zu weit.“ Wie überall in der Demo­kratie muss auch hier jeder selbst heraus­finden, was er oder sie selbst braucht und dafür den Mund aufma­chen.

Gesichter statt Gesetze

Demo­kratie lebt von Menschen, die mitma­chen – oft sind poli­ti­sche Forde­rungen aber zu abstrakt und komplex, meint Sebas­tian Schütz. Er arbeitet bei change​.org, einer Online-Platt­form für poli­ti­sche Betei­li­gungs­pro­zesse, die aus Problemen Peti­tionen machen und daraus dann Kampa­gnen. Die stehen ganz am Anfang, wo es darum geht, Menschen erstmal für eine ganz grund­sätz­liche Aussage oder Forde­rung zu begeis­tern“, erklärt Schütz, die Betei­li­gung folgt dann in den nächsten Schritten.“

Schütz warnt vor sper­rigen Begriffen wie Bundes­teil­ha­be­ge­setz“ oder Inte­gra­tion“, weil sie mögliche Unter­stützer und Unter­stüt­ze­rinnen kaum über­zeugen könnten. Viel­mehr wirken persön­liche Geschichten, die abstrakten Problemen ein Gesicht geben und sie so greifbar machen. Laut Schütz braucht es klare Ziele und Forde­rungen, um Menschen zu begeis­tern und zu bewegen. Forde­rungen, mit denen sich Menschen iden­ti­fi­zieren können – oder eben auch nicht. Für ihn steht die Peti­tion am Anfang einer Kampagne, eine Unter­schrift ist der erste Schritt ins Enga­ge­ment. Viele Unter­schriften können so viel Aufmerk­sam­keit erzeugen, dass das Anliegen mit wich­tigen Poli­ti­kern und Poli­ti­ke­rinnen bespro­chen werden kann.

Das kann ein langer Weg sein, was den Jugend­li­chen aber klar ist: Die ganze Welt wird sich nicht verän­dern, nur weil du einen Finger hebst“, meint Diya (19). Schütz rät jedem, der seine Forde­rungen umsetzen will, sich ein enga­giertes Team aufzu­bauen. Das müsse eine ordent­liche Portion Krea­ti­vität und Durch­set­zungs­ver­mögen mitbringen, um möglichst viele Menschen für das eigene Projekt zu gewinnen. Schütz betont: Es braucht diesen Prozess, damit Leute verstehen: Okay, hier muss ich was tun!“ Das heißt gar nicht unbe­dingt, dass alle Menschen dem zustimmen müssen. Statt­dessen geht es Schütz immer darum, einen Dialog zu beginnen und Menschen für Themen zu mobi­li­sieren. Denn daraus entsteht dann gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment: Demo­kratie!

Denn Demo­kratie heißt mitma­chen, disku­tieren und auch offen für andere sein. Iman-Nour Habbouchi (16) meint: Man muss jeden Leben lassen, aber auch selbst so leben wie man es dem anderen wünscht. Demo­kratie ist für mich, wenn jeder seine Meinung äußert. Man muss aber auch andere Meinungen akzep­tieren können.“ Auch was Demo­kratie an sich ist, steht nirgends in Stein gemei­ßelt – das ist auch unmög­lich. Wichtig ist, sich über eines im Klaren zu sein: Demo­kratie bedeutet in jedem unserer Köpfe etwas anderes. Was genau das ist, darüber müssen wir mitein­ander spre­chen.