Vom An- und Zurück­schauen

Datum
29. März 2018
Autor*in
Katharina Petry
Thema
#IWgR 2018
Zurückgaffen

Zurückgaffen

Eine Kohlezeichnung von Lena Ziya, die einen Kameruner zeigt, der mit seinem Opernglas auf die Besucherinnen und Besucher in Treptow zurückschaut.
Unter dem Motto zurück­SCHAUEN“ beschäf­tigt sich in Berlin-Johan­nes­thal eine Ausstel­lung mit der Erin­ne­rung an den Kolo­nia­lismus. Besu­che­rinnen und Besu­cher sollen zu einem sensi­bleren Umgang mit der Kolo­ni­al­ge­schichte animiert werden. Das soll Rassismus entge­gen­wirken. Ein Bericht von Katha­rina Petry.

Sie werden ange­starrt wie Tiere im Zoo. 106 Frauen, Männer und Kinder aus den ehema­ligen deut­schen Kolo­nien dienen im Sommer 1896 als Schau­ob­jekte im Trep­tower Park in Berlin. In der ersten gesamt­deut­schen Kolo­ni­al­aus­stel­lung verkör­pern die Schwarzen Menschen für die Zuschaue­rinnen und Zuschauer einen Mix aus insze­nierter Exotik und Fremd­heit.

Heute schauen diese 106 Menschen auf die Besu­che­rinnen und Besu­cher einer anderen Ausstel­lung zurück – und zwar aus Foto­por­träts, die an den Wänden im Museum Treptow in Berlin-Johan­nes­thal hängen. Dort befindet sich seit Oktober 2017 die Dauer­aus­stel­lung zurück­GE­SCHAUT“. Orga­ni­siert wird sie vom Museum Treptow-Köppenick in Koope­ra­tion mit der Initia­tive Schwarze Menschen in Deutsch­land und dem Verein Berlin Post­ko­lo­nial.

Ausge­hend von den so genannten Menschen­schauen im 19. Jahr­hun­dert thema­ti­siert die Ausstel­lung die deut­sche Kolo­ni­al­ge­schichte, aber auch den Wider­stand gegen Kolo­nia­lismus und rassis­ti­sches Verhalten. Neben Infor­ma­ti­ons­ta­feln und einem Exper­ten­film widmet sich ein Raum den 106 ausge­stellten“ Menschen. Über jeden Einzelnen von ihnen verraten Teil­bio­gra­fien unter­schied­liche Details aus dem Leben. Von der Arzt­tochter aus Namibia bis hin zum Bauern aus Tansania hatte jeder eine eigene Geschichte.

Bei der Kolo­ni­al­aus­stel­lung im Trep­tower Park ging es nicht um die Einzig­ar­tig­keit der Menschen, die für den Sommer 1896 aus afri­ka­ni­schen und ozea­ni­schen Kolo­nien nach Deutsch­land geholt wurden. Allein ihr Aussehen und ihre Herkunft zählten, dienten diese doch der Unter­hal­tung der weißen Deut­schen. Entgegen dem Plan der Initia­to­rinnen und Initia­toren wehrten sich einige der 106 Menschen gegen ihre Rolle als Schau­ob­jekte: Sie blieben in Deutsch­land und beob­ach­teten aktiv, wie sich die Macht auf die Haut­farben verteilte. Später begrün­deten sie die Schwarze Commu­nity in Berlin.

Moderne Menschen­schauen

Auch heute noch gibt es Formate, die an die Kolo­ni­al­aus­stel­lung im Trep­tower Park erin­nern – so zum Beispiel die 2007 veran­stal­tete exoti­sche Nacht“ im Nürn­berger Zoo. Unmit­telbar neben Elefanten, Kroko­dilen und Co. vermark­teten die Initia­to­rinnen und Initia­tioren Schwarze Menschen, indem sie sie als einheit­liche schwarze Körper“ darstellten und ihre mensch­liche Indi­vi­dua­lität igno­rierten. Verkaufs­stände boten typisch afri­ka­ni­sche Souve­nirs an. Die afri­ka­ni­sche Kultur wurde damit auf die Erwar­tungs­hal­tung weißer Zuschaue­rinnen und Zuschauer redu­ziert.

Auch die Show Afrika Afrika“, die jähr­lich durch Deutsch­land tourt, greift Klischees auf und insze­niert eine einheit­lich afri­ka­ni­sche Kultur, die sich auf Tanz, Trom­meln und Theater beschränkt. Für die Leite­rinnen und Leiter der Show ist das ein Sinn­bild afri­ka­ni­schen Talents und Tempe­ra­ments“. Sie verspre­chen ein magi­sches Zirkus­spek­takel.

Diver­sität in der Vorbe­rei­tung der Ausstel­lung

Zurück­GE­SCHAUT“ versucht rassis­ti­sche Struk­turen und stereo­type Darstel­lungen von Schwarzen Menschen von Grund auf zu vermeiden. Die Ausstel­lung hat ein Team auf die Beine gestellt, dessen Mitglieder Schwarz und weiß sind. Die Exper­tise der Schwarzen Kura­to­rinnen und Kura­toren half dabei, das Thema Kolo­nia­lismus sensi­bler aufzu­ar­beiten, denn viele von ihnen hatten bereits persön­liche Erfah­rungen mit Rassismus gesam­melt.

Die Aufar­bei­tung des Themas Kolo­nia­lismus in einem diversen Team ist einzig­artig in Deutsch­land. Vor allem beim jungen Publikum trifft dieses Konzept auf Aner­ken­nung. Für Matthias Wiedebusch, der dem Kura­to­ren­team ange­hört, trifft zurück­GE­SCHAUT“ den Zahn der Zeit“.

Auch Tahir Della von der Initia­tive Schwarzer Menschen in Deutsch­land“, eben­falls ein Mitin­itiator der Ausstel­lung, beob­achtet einen stei­genden Erfolg von zurück­GE­SCHAUT“ gerade bei jungen Menschen: Das Inter­esse wächst tatsäch­lich. Die Kids stellen fest, dass die Themen Kolo­nia­lismus und Rassismus im Unter­richt oder an der Uni über­haupt nicht behan­delt werden. Sie merken aber, dass diese Themen wichtig sind“.

In Dellas eigener Kind­heit hat die Kolo­ni­al­ge­schichte oder der Völker­mord in Namibia keine Rolle gespielt. Durch die Akti­vi­täten diverser NGOs tritt es aber heute vermehrt in die Öffent­lich­keit.

Stra­ßen­namen aus der Kolo­ni­al­zeit

So bietet Berlin Post­ko­lo­nial beispiels­weise geführte Stadt­touren an, bei denen Teil­neh­me­rinnen und Teil­nehmer die kolo­nialen Spuren in der Haupt­stadt entde­cken können. Auch der oft in Verges­sen­heit gera­tene Wider­stand der Schwarzen Commu­nity kommt während der Spazier­gänge durch Berlin zur Sprache. Hinge­wiesen wird beispiels­weise auf Stra­ßen­namen aus der (Vor-)Kolonialzeit. Dazu zählt die Mohren­straße in Berlin-Mitte, die ihren Namen 1706 bekam. Damals war Mohr“ ein Ausdruck für Schwarze Menschen, die als Sklaven gehalten wurden. Menschen wie Chris­tian Kopp, die sich heute für die Deko­lo­nia­li­sie­rung Berlins einsetzen, spre­chen deshalb lieber von der M‑Straße.

Berlin Post­ko­lo­nial enga­giert sich für eine Umbe­nen­nung der Mohren­straße. Kopp, der selbst in dem Verein aktiv ist, betont, dass es ihm dabei nicht darum geht, kolo­niale Spuren in Berlin voll­ständig verschwinden zu lassen. Viel­mehr soll die Umbe­nen­nung der Straße zu einem kriti­schen Umgang mit der Kolo­ni­al­ge­schichte anregen. So wird derzeit auch darüber disku­tiert, ob die Peter­s­allee“ und der Nach­ti­gall­platz“ im afri­ka­ni­schen Viertel in Berlin-Wedding neue Namen bekommen sollen. Die jetzigen Bezeich­nungen sind an deut­sche Kolo­ni­al­herren ange­lehnt. Zukünftig könnten sie Namen von Wider­stands­kämp­fern aus der Kolo­ni­al­zeit tragen.

Rassis­ti­sche Struk­turen durch­bre­chen

Die Struk­turen in poli­ti­schen, kultu­rellen und akade­mi­schen Insti­tu­tionen müssen deko­lo­ni­siert werden“, sagt Kopp. Schwarze Menschen und People of Colour sollen im öffent­li­chen Leben ange­messen reprä­sen­tiert werden. Dies gilt beson­ders für Projekte, die sie selbst betreffen. Für mich als Weißer heißt das, dass ich im Zwei­fels­fall eine Kura­to­ren­stelle in einem Team mit einer Mehr­heit an Weißen ablehne, damit ein Schwarzer diese Stelle antreten kann“, so Kopp. Er selbst ist bei Berlin Post­ko­lo­nial als Weißer eine Ausnahme. Bei Stadt­touren oder anderen Groß­pro­jekten ist immer mindes­tens einer seiner Schwarzen Kollegen dabei.

Kolo­niale Struk­turen aufzu­bre­chen, kann für die weiße Mehr­heits­be­völ­ke­rung unbe­quem sein. Es bedeutet, auch einmal auf Privi­le­gien zu verzichten – daran sind Weiße im histo­risch kolo­nialen Kontext nicht gewöhnt. Das Gefühl, aufgrund von Haut­farbe oder Herkunft diskri­mi­niert zu werden, kann kein weißer Deut­scher nach­emp­finden Selbst­an­sichten wie kultu­rell weiter­ent­wi­ckelt‘ oder zivi­li­sierter‘ haben wir über Jahr­hun­derte verin­ner­licht. Man muss anfangen, das abzu­bauen“, sagt Kopp. Viel­leicht ist die Ausstel­lung Zurück­GE­SCHAUT“ ja der erste Schritt auf diesem Weg.


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