Viel Lärm um Viel

Datum
22. September 2015
Autor*in
Wiegand Körber
Thema
#ZukunftsTour 2016
bild_wiegand_viellaerm

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Hoch­glanz­pro­spekte hier und auto­nome Inte­gra­tion auf Augen­höhe da – unter­schied­lich im Stil, doch in der Sache vereint: Die Verlei­hung des Titels Haupt­stadt des fairen Handels“ in Rostock bot Eindrücke in zwei Welten, die sich selten so nah sind.

Das Ambi­ente: Kurhaus Warne­münde, Sterne-Kongress­halle mit weit­läu­figer Terrasse und Blick über das Meer. Die Mitwir­kenden: aus ganz Deutsch­land gekommen, um gespannt darauf zu warten, wer in diesem Jahr den begehrten Titel Haupt­stadt des fairen Handels“ und wer die anderen mit mehreren zehn­tau­senden Euro dotierten Preise abräumt. Am Ende ist es Saar­brü­cken. Die Stadt am Vier­län­dereck darf sich von nun an Haupt­stadt des fairen Handels“ nennen und im Moment der Preis­über­gabe zeigt sich noch einmal die ganze span­nende, schein­bare Unver­ein­bar­keit der Welten. Die Dele­ga­tion, bestehend aus Mitarbeiter*innen der Saar­brü­cker Initia­tiven (Kostüm und Anzug, jedoch sichtbar selten getragen) und Zuge­wan­derten (tradi­tio­nelle, bunte Klei­dung, aus Guinea und Kolum­bien) steht unsi­cher und zusam­men­ge­drängt im Rampen­licht. Staats­se­kretär Thomas Silber­horn (maßge­schnei­derter Anzug, noncha­lantes Lächeln, meist­ge­nutzte Worte: mein Minister“) über­reicht den Scheck mitsamt Wander­pokal, während Pres­se­ver­treter von der lokalen Ostsee­zei­tung bis hin zur natio­nalen ARD dutzende Bilder schießen.

Endlose Begrü­ßungen der Anwe­senden am Anfang jedes Rede­bei­trags

Denn Einsatz für den fairen Handel findet häufig dort statt, wo sich der Staat nicht mehr verant­wort­lich fühlt: In Ökohäu­sern, in Eine-Welt-Läden, in kommu­nen­haften WGs in Leipzig, wo Studie­rende und Geflüch­tete fürein­ander kochen, in Gesamt­schulen mit so hohem Migrant*innenanteil, dass Lehrer*innen ehren­amt­lich Ganz­tags­an­ge­bote unter­breiten. In der Zivil­ge­sell­schaft also, deren Mitglieder frei von insti­tu­tio­nellen Hürden handeln, nicht die Schlag­zeilen beherr­schen und nur an Tagen wie diesen die Früchte ihrer Arbeit ernten können. Menschen, die es norma­ler­weise nicht gewohnt sind, stun­den­langen Reden zu lauschen, die alle mit einer ausführ­li­chen Begrü­ßung der Anwe­senden Titel­träger beginnen und jeweils achtmal den Satz Meine sehr verehrten Damen und Herren“ beinhalten.

Dritte Welt“ und die Einbe­zie­hung in globale Liefer­ketten“

Und doch ist der Wider­wille gegen­über diesem plaka­tiven Event, gegen­über den horrenden Kosten, die der Staat hier für Buffet, Hotel­kosten und Raum­ser­vice verpul­vert, nur zu Teilen berech­tigt. Denn auch wenn die Vorzei­ge­bilder von Angela Merkel inmitten einer Gruppe People of Colour und die Bewer­ber­vi­deos der Städte mit Bildern hungernder Kinder in der – wört­lich – Dritten Welt“, wie aus der Zeit gefallen wirken, ist diese Verbin­dung unver­meidbar. Die Menschen, die in ihrer Ecke ihren eigenen Über­zeu­gungen treu sind, ohne Kompro­misse eingehen zu müssen, werden dadurch einge­bunden“, sagt Thomas Silber­horn und trifft damit den Kern der Sache. Denn jene, die es sich im anti­staat­li­chen Idyll, inmitten gleich­den­kender Menschen bequem gemacht haben und ihr eigenes Leben mora­lisch korrekt leben, sind die, die drin­gend lernen müssen, ihre Ideen in den Main­stream zu tragen, um wirk­liche Verän­de­rungen herbei­führen zu können. Dass das wehtun kann und wird, ist klar. Mit Menschen zu disku­tieren, die als Armuts­lö­sung die Einbe­zie­hung in globale Liefer­ketten“ und die Schaf­fung von Arbeits­plätzen“ zur Bedie­nung des Marktes“ sehen, ist sicher­lich frus­trie­rend. Doch geben die Deut­schen im Jahr ledig­lich 13 Euro für Fair-Trade Produkte aus, ein Umstand, der eben nicht nur Links­extremen, sondern auch Mitarbeiter*innen des Bundes­mi­nis­te­riums für entwick­lungs­po­li­ti­sche Zusam­men­ar­beit miss­fällt.


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