Stimmen der Zukunft: Was bewegt Junge Wähler*innen in Deutsch­land?

Datum
30. Juli 2024
Autor*in
Elisabeth Sacharov
Themen
#Politik #Wahlen
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Wen wählen junge Menschen in Deutsch­land und welche Faktoren beein­flussen ihr Wahl­ver­halten? Ein Meinungs­in­ter­view mit Poli­tik­wis­sen­schaftler der Fried­rich-Ebert-Stif­tung Alex Yusupov.

Obwohl die Euro­pa­wahl schon längst vorbei ist, lohnt es sich trotzdem, einmal zurück­zu­schauen und es zu reflek­tieren. Wen wählen junge Menschen in Deutsch­land und welche Faktoren beein­flussen ihr Wahl­ver­halten? Ein Meinungs­in­ter­view mit Poli­tik­wis­sen­schaftler Alex Yusupov.

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Symbolbild Wahlurne. Bild: Unsplash/Element5 Digital

In dieser EU-Wahl dürfen Jugend­liche in Deutsch­land bereits mit 16 Jahren wählen. Wie findest Du das?

Es ist ja nicht das erste Mal, dass das Wahl­alter in unseren Demo­kra­tien herab­ge­setzt wird. Schon im Jahr 1929 wurde die Voll­jäh­rig­keit anders defi­niert. Es gab immer wieder die Diskus­sion, ab wann sind Menschen erwachsen und wie ist der Mix von Verpflich­tungen und Rechten eigent­lich am sinn­vollsten. Erst war das Wahl­alter in den USA 21 Jahre, gleich­zeitig gab es die Wehr­pflicht mit 18. Man hatte da diese komi­sche Situa­tion: Einer­seits soll ein Mensch die Waffe tragen, nutzen und even­tuell Menschen umbringen. Ande­rer­seits kann er oder sie aber nicht sein Wahl­recht ausüben, um Politik zu beein­flussen, die wiederum dazu führt, wo er oder sie als Soldat*in einge­setzt wird.

Solche Disba­lancen gibt es immer wieder. Wir sind aber schon im Prozess. Es kann sein, dass wir in 20 Jahren darüber reden, dass das Wahl­alter auf 14 herab­ge­setzt werden soll. Zum Einen hat es damit zu tun, dass wir die Grund­menge all derje­nigen, die wählen, ausweiten. Zum Anderen üben Menschen, die wählen, Einfluss darauf aus, wie sie leben. Da ist es super, dass wir da weiter­kommen.

Wie stehst du zu einer allge­meinen Wahl­be­rech­ti­gung ab 16 Jahren?

Wenn man auf die Argu­mente schaut, die histo­risch gegen eine Herab­sen­kung des Wahl­al­ters, auch schon bei der Absen­kung auf 18, sind, dann sind das immer dieselben: die Jugend­haf­tig­keit, die Menschen wären noch nicht seriös genug, die Erfah­rung fehlt.

Für eine Wahl ab 16 spricht einer­seits der zivi­li­sa­to­ri­schen Prozess. Die 16-Jährigen von heute sind anders als 16- Jährigen vor 50, 60 Jahren, in dem wie sie Zugang zu finan­zi­ellen Mittel haben, wie viel Selbst­be­stim­mung sie ausüben können oder was sie anziehen und wo sie hingehen. Das hat sich geän­dert und die Politik hängt hinterher. Dafür spricht aber auch die neuro­wis­sen­schaft­liche Forschung. Sie liefert Fakten zu der Frage, wie werden Entschei­dungen getroffen. Und wie ich das über­bli­cken kann, ist die Forschung da ziem­lich eindeutig: Man kann wissen­schaft­lich nicht sagen, ob die Entschei­dungs­fin­dung von einem oder einer 16-jährigen impul­siver oder weniger auf Infor­ma­tionen basiert ist.

Es gibt Expe­ri­mente mit unter­schied­li­chen Alters­gruppen, so ein biss­chen wie der Wahl-O-Mat, nur mit fiktiven Parteien und fiktiven Programmen. Das muss über­haupt nichts Reales sein. Aber was damit unter­sucht wird, ist die Fähig­keit, eigene Inter­essen zu defi­nieren und abstrakt geschrie­benen Programme auszu­werten. Auch da schneiden jüngere Proband*innen nicht schlechter ab als ältere.

Wenn wir uns die demo­gra­phi­sche Struktur anschauen, sind wir immer noch in einem starken Über­ge­wicht der älteren Gene­ra­tion, der per se nicht schlecht ist, jedoch aber bedeutet, dass die wich­tigsten Entschei­dungen von Menschen mit beein­flusst werden, die nicht mehr so lange leben werden, um alle diese Entschei­dung mitzu­er­leben. Das ist demo­kra­tie­theo­re­tisch nicht in Ordnung. Und selbst die Auswei­tung auf 16 stellt das nicht von den Füßen auf den Kopf, weil das nicht die boden­stärksten Jahr­gänge sind.

Können Jugend­liche durch das Über­ge­wicht der älteren Gene­ra­tion“ das poli­ti­sche System über­haupt beein­flussen? Und wie unter­scheidet sich ihr Wahl­ver­halten von den älteren Gruppen?

Also auf jeden Fall können sie. Auf Deutsch­land bezogen wissen wir, was die popu­lärsten Parteien sind. Das sind Grünen, das ist die FDP, das ist die AFD. Das sind alles Parteien, die radi­kale Kritiken des bestehenden Systems vorbringen. Sie tun das aus völlig unter­schied­li­chen Rich­tungen, sind nicht vergleichbar mitein­ander, aber vom Grund­satz her sind sie nicht der Main­stream.

Und wir sehen auch, dass die alten großen Parteien – die CDU, die SPD, die Linke – für junge Menschen total unat­traktiv sind. Das sind Alarm­si­gnale, dass das eigene Partei­pro­gramm gar nicht bei den Jungen ankommt. Selbst wenn die Stimme der Jüngeren jetzt nicht ausschlag­ge­bend mathe­ma­tisch wäre, ist sie sehr wichtig und beein­flusst natür­lich auch die Politik und Gesetz. Denn die Jüngeren, die jetzt zum ersten oder zweiten Mal wählen, werden ja noch sehr oft wählen.

In einem Inter­view hast Du gesagt, dass deut­sche Schüler*innen sich am meisten mit der Politik ausein­an­der­setzen. Inwie­fern tun sie das und was bewegt sie?

Die neusten Erkennt­nisse kommen aus der Shell Studie. Es wurde fest­ge­stellt, dass die Poli­ti­sie­rung bei den Schüler*innen höher ist, als bei den Student*innen. Das ist ganz anders als früher. Vor allem im grünen Spek­trum“, zum Beispiel durch Fridays for Future, die letzte Gene­ra­tion oder Schul­streiks. Es gibt auch viele junge Leute, die sich schon sehr früh system­kri­tisch äußern oder anti­de­mo­kra­ti­sche Stim­mung kundtun. Das ist auch Poli­ti­sie­rung. Das bedeutet, dass junge Leute sich eine Meinung zur Politik aufbauen und sie auch mitteilen.

Warum eine hohe Poli­ti­sie­rung vorherrscht, ist umstritten. Es gibt zwei Theo­rien: Am linken Ende des Spek­trums stehen Kinder von besser situ­ierten Fami­lien. Sie müssen meist keine Sorgen machen um ihren Job, um die finan­zi­elle Stabi­lität ihrer Familie und die Wirt­schafts­ent­wick­lung machen. Sie denken über die Zukunft nach. Über eine Zukunft nach ihrem Erwerbs­leben, über die Zukunft der nächsten und über­nächsten Gene­ra­tionen. Das ist neu. Der Klima­wandel ist bisher das einzige Thema, dass ein über­ge­ne­ra­tio­nelles Bewusst­sein aufweist, wo Menschen sich über etwas Sorgen machen, was sie wahr­schein­lich gar nicht erleben werden.

Am rechten Ende des Spek­trums ist es umge­kehrt: Die Menschen sind schon in jungen Jahren sehr unzu­frieden über die Aussichten ihrer eigenen Biogra­fien. Das muss gar nicht fakten­ba­sie­rend sein, aber sie empfinden es so. Als würde die Politik nichts machen, als wären anderen Gruppen wich­tiger: Migrant*innen, Geflüch­tete, andere euro­päi­sche Länder oder andere Themen. Und wenn dazu noch weitere Faktoren kommen, wie da Menschen die aus den länd­li­chen Gegenden kommen, viel­leicht aus den neuen Bundes­län­dern, wo mehrere Benach­tei­li­gungs­fak­toren sich addieren, sehen wir zumin­dest in den Umfragen , dass die AfD davon enorm profi­tiert. Nicht nur bei den älteren Wähler­gruppen, wie früher die Annahme war, sondern auch bei jungen Menschen.

Bewegen sich dann die Jugend­liche ausschließ­lich im linken und rechten Spek­trum?

Die FDP hat auch bei den letzten Bundes­tags­wahlen sehr gut abge­schnit­tenen bei jungen Wähler*innen. Da kann man sich auch fragen, warum. Es gibt eine starke liber­täre Ideo­logie, in der Elon Musk der Held ist. Jemand, der durch Geld, Können, Talent und Glück, aber vor allem Geld die Welt verän­dern muss. Alles hängt nur von dir als Mensch ab und die Gesell­schaft ist eigent­lich über­haupt keine rele­vante Kate­gorie. Das kommt der FDP zugute, weil sie in unserer poli­ti­schen Land­schaft am ehesten die Partei ist, die solche markt­ori­en­tierten Töne einschlägt.

Sie spre­chen Menschen an, die sagen: Also dieses Staats­wesen stelle ich mir anders vor.“ Und vor allem jene, die tech­nik­affin sind. Die Geschwin­dig­keit der tech­no­lo­gi­schen Revo­lu­tion der letzten Jahre ist atem­be­rau­bend. Poli­ti­sche Systeme entwi­ckeln sich nicht einmal halb so schnell, nicht mal viertel so schnell, sondern sind in einem Bruch­teil dessen. Und wenn man fest­stellt, dass es ein Dino­sau­rier-System ist, dann entwi­ckelt man auch sehr ableh­nende Haltung. 

Auf den ersten Blick scheint es so zu sein, dass Jugend­li­chen sich mit der Politik ausein­ander- und ihre eigenen Inter­essen durch­setzen wollen, auch wenn diese komplett unter­schied­lich sind. Doch warum gewinnen (rechts-) popu­lis­ti­sche Parteien immer mehr Stimmen, auch unter jungen Menschen?

Je popu­lis­ti­scher eine Partei ist, egal ob links oder rechts, desto einfa­cher sind ihre Lösungen. Und einfache Lösungen kommen vor allem bei Jüngeren gut an. Dass es schon einen Grund gibt, warum poli­ti­sche Probleme kompli­ziert sind und warum man sie nicht schnell und einfach mit einer Entschei­dung lösen kann, also die Zusam­men­hänge im Details zu erklären, das ist nicht konkur­renz­fähig. Und nach der Wahl zu evalu­ieren, wen habe ich gewählt oder auf Abge­ord­ne­ten­watch zu gucken, was verdient der oder dieje­nige von anderen Quellen, das ist kompli­ziert, da muss man googeln und Zeit inves­tieren.

Die Bundes­re­pu­blik ist ein sehr konsens­ori­en­tierter Staat, dessen gesamte poli­ti­sche Kultur darauf aufbaut, alle anzu­hören und alle zu inte­grieren. Wenn man lang genug alle Stim­mungen anhört und Kompro­missen sucht, findet sich schon welche. Doch Kompro­misse bedeuten auch, dass am Ende Lösungen heraus­kommen, die für alle nicht zufrieden stel­lend sind. Und das kommt scheinbar schlecht an. Vor allem bei Menschen, die in rechten Linien sind und sich denken: Das sind alles Lügen. Deswegen wollen wir eine radi­kale Rechts­wende, die alles anders machen soll. Und es gibt einfache Lösungen, denn wir sind nicht alter­na­tivlos“. Am rechten Rand gibt es starke, einfache Botschaften, auf die man gut reagieren kann.

Grund­sätz­lich ist es so, dass die Anzahl der Krisen heut­zu­tage sehr hoch ist: die grüne Wende, die Migra­ti­ons­krise, die Klima­krise, Kriege um Europa herum. Es gibt viel Angst und Rechte, vor allem Rechts­extreme, geben einfa­chere Antworten auf diese Ängste. Jetzt, da wir in einem Krisen­strudel sind, kommen wieder Nach­fragen nach alther­ge­brachten Slogans, wie Die Nation muss zusam­men­halten“; Unsere Inter­essen zählen mehr“; Wir können nicht immer die anderen retten, wir müssen an uns selbst denken.“ Dieser Egoismus wird am ehesten von rechten Politiker*innen gespielt.

Könnte fehlende poli­ti­sche Bildung an den Schulen auch ein Grund für den Rechts­ruck unter jüngeren Menschen sein?

Ich kann mir da keine pauschale Aussage erlauben. Das Problem ist die Poli­ti­sie­rung und nicht die fehlende Infor­ma­tion. Es geht nicht um das Wissen. Das Wissen ist leicht verfügbar, es ist über­flüssig, es ist überall. Es geht um die Prak­tiken. Es geht darum, dass man früh das Gefühl bekommt, Das hat was mit mir zu tun, das betrifft mich und ich habe Einfluss darauf.“ Der klas­si­sche Unter­richt zur poli­ti­schen Bildung, der Diagramme aufzeichnet, wie gewählt wird oder welches Staats­organ wem wie über­ge­ordnet ist, hat damit nichts zu tun. Poli­ti­sche Bildung muss parti­zi­pativ sein, muss prak­ti­sche Projekte beinhalten, muss einge­bunden sein in Gemein­de­räte, Jugend­par­la­mente, die EU oder viel­leicht auch ganz frei ist, wie diese neueren Projekte Brand New Bundestag oder Join­Po­li­tics. Da geht es um junge Politiker*innen, da geht es ums Machen.

Im Endef­fekt ist der klas­si­sche schu­li­sche Unter­richt nicht der rich­tige Ort, um Zuge­hö­rig­keit für den poli­ti­schen System zu vermit­teln. Da sind wir wieder am Start­punkt: Früh wählen gehen zu dürfen, ist essen­tiell. 


Trans­pa­renz­hin­weis: Alex Yusupov arbeitet für die Fried­rich-Ebert-Stif­tung. Die Fried­rich-Ebert-Stif­tung e. V. (FES) ist die älteste soge­nannte partei­nahe Stif­tung Deutsch­lands und steht der SPD nahe.

Dieser Artikel ist im Rahmen der offenen Redak­tion entstanden. Bei Fragen, Anre­gungen, Kritik und wenn ihr selbst mitma­chen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@​jugendpresse.​de 


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