Mikro­fi­nanzen: Leihst du mir mal einen Euro?“ 

Datum
04. Juli 2016
Autor*in
Thema
#ZukunftsTour 2016
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Die Oikocredit-Mitarbeiter Frey und Wittig (Foto: Nathalie Bockelt)

Oiko­credit ist eine Firma, die in Entwick­lungs­län­dern Mikro­kre­dite vergibt. Wir haben sie in Mainz getroffen. Aber was sind Mikro­kre­dite eigent­lich und wie funk­tio­nieren sie? Eine Einfüh­rung.

Unser Alltag ist davon abhängig, dass ein bestimmter Service funk­tio­niert: Finanz­trans­ak­tionen. Das fängt dabei an, dass wir ohne die Bank­dienst­leis­tungen, die wir aus Deutsch­land und Europa kennen, nicht einkaufen können. Ohne Geld­au­tomat kein Bargeld, ohne Bank­konto keine EC-Karte, und ohne EC-Karte oder Bargeld kein Einkauf, weder analog noch digital. Und ohne Banken keine Kredite, ohne Kredite keine Inves­ti­tionen oder größere Anschaf­fungen. Ohne Versi­che­rungen kein Gesund­heits­system. Bewusst wird uns diese Abhän­gig­keit nur selten. In großen Teilen der Welt gibt es diese Dienst­leis­tungen nicht. In den Daten der Welt­bank führt Afgha­ni­stan das Nega­tiv­ran­king an, dort kommen 0,8 Geld­au­to­maten auf 100.000 Personen. In Kanada sind es 222 Auto­maten, das welt­weite Mittel ist 44 Auto­maten auf 100.000 Personen. Ohne Bank­dienst­leis­tungen ist es unmög­lich, wirt­schaft­lich Schritt zu halten. Gleich­zeitig können viele Menschen in Entwick­lungs­län­dern aber keine Sicher­heiten oder regel­mä­ßiges Einkommen vorweisen, weshalb ihnen herkömm­liche Kredite verwei­gert werden. Sie können nur zu Privat­ver­lei­hern, zu Kredit­haien“, gehen, die absurde Zinsen verlangen. In den Sieb­ziger Jahren entwi­ckelte der bangla­de­schi­sche Ökonom Muhammad Yunus das System der Klein­kre­dite: Wer keinen herkömm­li­chen Kredit bekommt, kann sich kleine Summen – auch nur wenige Euro – bei beson­deren Banken leihen. Eine solche Bank inves­tiert also in die Geschäfts­idee dieser Person und erhofft sich durch die Zinsen Gewinne. Oiko­credit ist so eine Einrich­tung. Wir trafen sie in Mainz und lernten ihr Geschäfts­mo­dell kennen.

Wer ist Oiko­credit und was tun sie?

Oiko­credit ist eine Genos­sen­schaft. Das bedeutet, dass sie bei ihren Mitglie­dern Geld­summen sammelt und sie auf bestimmte Weise gewinn­brin­gend inves­tiert. 1975 vom Ökume­ni­schen Rat der Kirchen gegründet, vergibt Oiko­credit Kredite an Mikro­fi­nanz­in­sti­tu­tionen in Entwick­lungs­län­dern Der Kern ihrer Philo­so­phie ist, benach­tei­ligte Menschen in Entwick­lungs­län­dern am wirt­schaft­li­chen Geschehen teil­haben zu lassen und finan­zi­elle Ressourcen welt­weit gerechter zu verteilen.

Oiko­credit, dessen Name sich aus dem grie­chi­schen Wort für Haus“ und dem latei­ni­schen Wort für glauben“ zusam­men­setzt, vergibt ihre Kredite nicht direkt an Kleinstunternehmer*innen in Afrika oder Latein­ame­rika. Das über­nehmen ihre Part­ner­or­ga­ni­sa­tionen für sie. Diese kennen die Gege­ben­heiten vor Ort und die Schuldner*innen genau und stehen in Kontakt mit ihnen. Sie prüfen auch den Erfolg der Geschäfts­idee und die Buch­füh­rung regel­mäßig. Das Kapital, das beispiels­weise ein kleines Mikro­fi­nanz­in­stitut in Uganda an eine Friseurin verleihen möchte, kommt dann von Oiko­credit. Übri­gens ist es im Mikro­fi­nanz­system üblich, Kredite vor allem an Frauen zu vergeben. Die meisten Orga­ni­sa­tionen schließen Kredite an Männer voll­ständig oder größ­ten­teils aus. 86% der Schuldner*innen, die von Oiko­credits Geld profi­tieren, sind Frauen. Damit verbunden ist die Idee, Frauen welt­weit zu fördern.

Mikro­kre­dite sind kein Allheil­mittel

Allge­mein sind Mikro­kre­dite nicht unum­stritten. So fordern Mikro­kre­dit­ver­geber von ihren Schuldner*innen zwar nied­ri­gere Zinsen als ein Privat­ver­leiher, aber trotzdem deut­lich höhere Zinsen als herkömm­liche Banken. Die Firmen begründen diese damit, dass ihr Aufwand höher ist als der herkömm­li­cher Banken (z. B. weil die Rück­zah­lungen mangels Bank­konto persön­lich abge­holt werden müssen), während ihr Gewinn vergleichs­weise niedrig ist. Kritiker*innen werfen den Mikro­fi­nanz­in­sti­tuten vor, dass das Risiko für Schuldner*innen, in die Schul­den­falle zu geraten, zu groß ist.

Es gibt auch Extrem­bei­spiele: In Indien haben sich 2010 54 Kreditnehmer*innen umge­bracht, weil sie die Zinsen nicht zahlen konnten. Das sind aber seltene Ausnahmen. Denn nur mit Mikro­kre­diten lassen sich kleine, sozial verträg­liche, erfolg­ver­spre­chende Unter­neh­mungen in Entwick­lungs­län­dern fördern. So arbeiten auch Unter­nehmen wie Oiko­credit.


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