Mehr Mitte, bitte.

Datum
29. Februar 2020
Autor*in
Hannah Lee
Themen
#HHWahl20 #Wahlen
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Die Mitte lebt!“ lautete der Spruch der FDP in diesem Wahl­kampf. Bei der Wahl­party am Sonn­tag­abend war noch nicht entschieden, ob die Mitte auch in der kommenden Hamburger Bürger­schaft leben wird. poli­ti­ko­range-Redak­teurin Hannah Lee ist dort […]

Die Mitte lebt!“ lautete der Spruch der FDP in diesem Wahl­kampf. Bei der Wahl­party am Sonn­tag­abend war noch nicht entschieden, ob die Mitte auch in der kommenden Hamburger Bürger­schaft leben wird. poli­ti­ko­range-Redak­teurin Hannah Lee ist dort den Fragen auf den Grund gegangen: Was bedeutet die Mitte“ und warum legt eine Partei den Fokus so stark auf diesen Aspekt?

Die These, dass die Mitte wieder inten­siver gestärkt werden muss, entwi­ckelt sich haupt­säch­lich aus zwei Gründen. Einer­seits geht es um die bürger­liche Mitte, die den deut­schen Mittel­stand zwischen arm und reich meint. Ande­rer­seits geht es um die Mitte zwischen links und rechts auf dem poli­ti­schen Spek­trum, die Angst­schü­rung vor aufkom­mendem Extre­mismus und Radi­ka­lität verhin­dern will.

Beides bestä­tigt Ria Schröder, 27, die Vorsit­zende der Jungen Libe­ralen (JuLis) mit ihrer Aussage, dass die Mitte aus allen demo­kra­ti­schen Menschen bestehe, die zum Wohl­stand des Landes beitragen. Sie würden daher auch nicht versu­chen neue poli­ti­sche Systeme zu etablieren. Ähnlich äußern sich die FDP-Mitglieder Jeanette, 50, und Detlef, 61: Sie fürchten die Mitte verliere Stimmen, obwohl doch die meisten Menschen Teil dieser Mitte seien. Nach Ron Schu­ma­cher, 44, dem Vize-Landes­vor­sit­zenden der FDP, gehen diese dann an die, die am lautesten schreien“.

Für Johannes (21) und Bo (23) lebt die Mitte. Foto: Hannah Lee

Für Johannes (21) und Bo (23) lebt die Mitte durch FDP. Foto: Hannah Lee

Was bedeutet Mitte“ und was nicht?

Mit seiner Aussage meint er die Rand­par­teien und trifft einen Punkt, in dem sich alle einig zu sein scheinen. Man könnte meinen, eine Mitte sei ganz einfach der Mittel­wert aus dem was sie umgibt – ein biss­chen hiervon und ein biss­chen davon. Bei der FDP ist dies jedoch nicht der Fall.

Nein, die Partei vertrete auf keinen Fall Schnitt­mengen zwischen links und rechts und habe weder mit dem einen, noch dem anderen auch nur Gemein­sam­keiten, erwi­derten viele. Detlef verglich links und rechts mit gegen­über­lie­genden Ufern, wobei die FDP der Fluss sei – keines von beiden, doch eben die Mitte.

Die Ränder sind, der FDP und ihren Mitglie­dern zufolge, auf beiden poli­ti­schen Seiten, Gruppen, mit denen nicht koope­riert werden sollte – so steht es auch im Wahl­pro­gramm. Johannes, 21, von den JuLis betonte aber freund­lich, dass sie nicht per se gegen ihre Wähler seien. Im Gegen­teil, berich­tete er, sie seien neulich erst an beispiels­weise AfD geprägten Orten gewesen, um Protest­wäh­lern zu zeigen, dass sie auch anderswo gehört und beachtet werden. Von beiden Seiten abge­lehnt zu werden ist zwar die unbe­quemste Situa­tion, wie Carl Coste, 23, beteuert, aber sie sei gerade die, wo sie als Libe­rale sein müssen. Obwohl Sie sich so stark durch ihre Meinung abgrenzt, sei die Posi­tion nicht extrem.

Der Mittelweg: Gesell­schaft­liche Ziel­ge­rade oder Sack­gasse?

Die Mitte ist also nicht links, nicht rechts; nicht arm, nicht reich – aber bietet sie Lösungen für die Probleme und Bedürf­nisse unserer Welt? Und vor allem recht­zeitig? Beson­dere Umstände fordern bekannt­lich beson­dere Maßnahmen. Ein Mittelweg scheint in jeder Hinsicht durch­schnitt­lich. Kann die Lösung von Krisen wie dem Klima­wandel und dem Umgang mit Geflüch­teten so erreicht werden? Heino Ditt­mayer, 69, glaubt, dass die FDP dies besser kann als die Parteien der poli­ti­schen Ränder. Diese würden nämlich vor allem nicht-ziel­füh­rende Kurz­schluss­lö­sungen“ und Verbote fordern.

Immer wieder wird erzählt, dass die FDP mit Ratio­na­lität und Hilfe der Wissen­schaft Antworten auf beispiels­weise die Umwelt­frage finden möchte. Wenn es um verbes­serte Inte­gra­ti­ons­mög­lich­keiten oder die effi­zi­en­teste Art der Mobi­li­täts­wende in Hamburg geht, gibt die Wissen­schaft jedoch nicht so klare Linien vor. Ganz anders als beim Thema Klima­wandel. Hier gibt die Wissen­schaft Antworten, die eine radi­kale Hand­lungs­of­fen­sive der Mensch­heit fordern. Carl Coste erwi­dert, die FDP gehe nicht immer den Mittelweg, sondern ergreife in Sachen Klima oder beispiels­weise Bürger­recht, Seiten die eindeutig seien. Die Mitte ergebe sich aus der Zusam­men­set­zung aller Werte.

Kann die FDP, wenn sie sich in der Mitte posi­tio­niert, nicht auch eine Rolle als Vermitt­ler­partei spielen? Kann nicht gerade sie dann, einfa­cher als andere Parteien, in beide Rich­tungen eine Hand ausstre­cken und Kompro­misse schließen? Aber die Mitglieder und Kandi­da­tinnen und Kandi­daten der FDP drücken wieder­keh­rend Ableh­nung jegli­cher Koope­ra­tion aus. Nach dem Fehler in Thüringen distan­ziert sich die Partei von jedem Anschein der Sympa­thi­sie­rung mit der AfD – mani­fes­tiert die Linke aber einfach als Gegen­stück der AfD.

Mitte – ohne die FDP 

Nun ist die Wahl entschieden und die FDP konnte sich keinen Platz in der Bürger­schaft sichern. Nur ihre Spit­zen­kan­di­datin Anna von Treu­en­feld-Howein könnte ein Direkt­mandat erringen. Entgegen der ersten Prognosen ist die AfD doch noch knapp an der FDP vorbei­ge­zogen. Die Partei hatte sich zu früh gefreut und war damit sicher­lich nicht allein. Aller­dings heißt das noch lange nicht, dass die Mitte damit gestorben ist.

Ob die Libe­ralen wahr­haftig in der Mitte zuhause sind, und diese Richt­linie, Mittel­wert oder Prämisse ist, bleibt vermut­lich Meinungs­sache. In einer Zeit in der soziale Spal­tung und globale Span­nungen vorherr­schen, kann und muss auch die Lokal­po­litik, gerade im Sonder­fall des Stadt­staates, mit dem Geist der Zeit gehen. Die breite Mitte einzu­fangen, Menschen mitzu­nehmen und in ein Boot zu setzen, die sich ansonsten gegen­ein­ander stellen würden, ist ein Versuch Balance zu schaffen. Doch wie das statt­finden kann bleibt unbe­kannt.

Die Freie Demo­kra­ti­sche Partei ist in Hamburg daran geschei­tert, ausrei­chend Unter­stüt­zung der Bürge­rinnen und Bürger zu bündeln, um Einfluss auf den Werde­gang der Metro­pole zu nehmen. Viel­leicht können die demo­kra­tisch gewählten Macht­in­ha­benden aber trotzdem durch Diskus­sion und Kompro­miss einen Mittelweg finden, der das Boot sicher in den Hafen steuert. Im Wahl­kampf ist es unum­stritten wichtig sich zu profi­lieren und zu zeigen was einen beson­ders macht. Trotzdem ziehen alle Parteien an einem demo­kra­ti­schen Strang.


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