Mach ich Revo­lu­tion, tu ich Face­book

Datum
01. Juni 2015
Autor*in
Dominik Lambertz
Thema
#JMWS15
Facebook-Revolution_Essam-Sharaf_Wikimedia_CC-BY-SA_3-0_1

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Malcolm X sagte einst: Wenn du nicht dazu bereit bist, dafür zu sterben, dann streich das Wort Frei­heit‘ aus deinem Voka­bular.“

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Soziale Netzwerke waren für den Arabischen Frühling 2011 von enormer Bedeutung (Foto: Essam Sharaf, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0)

Er war der Über­zeu­gung, ernst­hafte Verän­de­rungen ließen sich nur durch radi­kales Vorgehen gegen die Unter­drü­cker herbei­führen – unter Einsatz des eigenen Lebens. Kurzum: Keine Revo­lu­tion ohne Tote. Ein trau­riges Fazit. Aber sollte sich das heut­zu­tage nicht anders lösen lassen? Schließ­lich erleben wir die Blüte­zeit des Inter­nets; welt­weit findet Kommu­ni­ka­tion online statt. Lassen sich womög­lich auch Revo­lu­tionen in die digi­tale Welt verla­gern?

Es gibt für alles eine App. Offenbar auch, um Präsi­denten zu stürzen. Diesen Schluss legen zumin­dest die Erfah­rungen der Jasmin-Revo­lu­tion in Tune­sien nahe. Ein erheb­li­cher Anteil des sozialen Netz­werks Face­book am Verlauf und der Explo­si­vität der Ereig­nisse ist kaum bestreitbar. Die Platt­form erlaubte den streng über­wachten Tune­siern, sich weitest­ge­hend frei von Zensur zu verstän­digen und wurde daher kurzer­hand Info-Portal und Bühne der Wider­ständler.

Die Revo­lu­tio­näre selbst ließen alle Welt durch Video­clips am Geschehen teil­haben. Trotz der meist schwa­chen Aufnah­me­qua­lität lieferten sie ein unver­fälschtes Bild der Lage vor Ort. Sie zeigten Menschen, die ihre Zukunft nicht allein dem Schicksal über­lassen wollten und sich zur Wehr setzten gegen ein System, das ihnen keine Perspek­tive bot. Ihre Welle des Wider­standes riss das ganze Land mit. Urplötz­lich trauten sich die Menschen aller­orts, die Regie­rung kritisch zu hinter­fragen.

Ich habe solche Videos gebraucht“

Nuri Chamari, damals 17 Jahre alt, erlebte den Umsturz selbst mit. Er verließ früh­zeitig Tunis, das Zentrum der Proteste, seine Familie verschanzte sich. Das Land war in heller Aufruhr, nachdem sich ein junger Gemü­se­handler in aller Öffent­lich­keit selbst verbrannt hatte. Ein Zeichen der Empö­rung über hohe Lebens­mit­tel­preise und schlechte Aussichten der Jugend­li­chen auf dem Arbeits­markt. Anschlie­ßend schoss die Polizei bei Demons­tra­tionen in die Menge. Unmiss­ver­ständ­lich wollte das Regime so seine Macht unter­mauern. Doch die Schüsse gingen nach hinten los: Das Volk wehrte sich.

Nuri sagt, in den ersten Tagen des Umschwungs habe er außer allge­meiner Anspan­nung nichts wahr­ge­nommen. Auf Face­book jedoch entwi­ckelte sich derweil ein beispiel­loses Forum des Wider­stands. Alle Abspra­chen wurden online getroffen. Hinzu kamen unzäh­lige Video­auf­nahmen der Proteste. Hier auf der Straße, die ich kenne, fällt ein Kind um, weil es wegen dem Tränengas nicht atmen kann. Ich habe solche Videos gebraucht, um zu begreifen, was los ist“, erklärt Nuri.

Ob die Revo­lu­tion ohne Face­book nicht möglich gewesen wäre? Das Netz­werk habe die Orga­ni­sa­tion erleich­tert und das Gemein­schafts­ge­fühl gestärkt, entschei­dend sei aber die Willens­kraft des Volkes gewesen, antwortet er. Und sagt grin­send: Außerdem hatte ich schon immer das Gefühl, die Tune­sier sind face­book­süchtig.“


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