Keine Maßnahme ohne Neben­wir­kungen

Datum
12. März 2018
Autor*in
Niklas Thoms
Thema
#EWLako18
Interview mit Wolf Kinzel // Foto: Erik-Holm Langhof

Interview mit Wolf Kinzel // Foto: Erik-Holm Langhof

© Erik-Holm Langhof

Auf der Eine-Welt-Landes­kon­fe­renz hat Niklas Thoms den ehema­ligen Mili­tär­at­taché der Bundes­wehr Wolf Kinzel inter­viewt. Der hat unter anderem sein Verständnis der Vernetzten Sicher­heit“ erklärt.

Interview mit Wolf Kinzel // Foto: Erik-Holm Langhof

Wolf Kinzel im Interview mit Niklas Thoms von politikorange / Foto: Erik-Holm Langhof

Wenn man mit Wolf Kinzel spricht, fallen Worte wie Abschre­ckung“ Stärke“ und bekämpfen“. Wer Kinzels Vergan­gen­heit betrachtet, wird sich darüber kaum wundern. Heute ist der eins­tige Mili­tär­at­taché Refe­rent der Stif­tung für Wissen­schaft und Politik in Berlin, wünscht sich weniger deut­sche Mili­tär­ein­sätze und sagt, dass mit mili­tä­ri­scher Gewalt immer nur Symptome bekämpft, nicht aber Frieden herge­stellt werden kann. Wie kommt er zu solchen Aussagen?

Niklas Thoms: Herr Kinzel, Sie haben in Ihrem Vortrag erläu­tert, was Ihrer Meinung nach Vernetzte Sicher­heit“ bedeutet. Ich habe mich zur Vorbe­rei­tung auf dieses Inter­view natür­lich auch mit diesen Defi­ni­tionen ausein­an­der­ge­setzt. Gänz­lich kann ich mich der Kritik mancher NGO‘s nicht erwehren, wonach der Begriff unscharf und ein strin­gentes Konzept nicht immer erkennbar sei. Wie defi­nieren Sie denn den Begriff Vernetzte Sicher­heit“ für sich?

Kinzel: Für mich bedeutet Vernetzte Sicher­heit“ den plan­vollen, koor­di­nierten und syner­gie­nut­zenden Einsatz mili­tä­ri­scher, ziviler, wirt­schaft­li­cher, entwick­lungs­po­li­ti­scher und anderer Mittel und Kräfte. Das bedeutet, dass man die zur Verfü­gung stehenden unter­schied­li­chen Werk­zeuge so einsetzt, dass das Ergebnis der Zusam­men­ar­beit am Ende besser ist als die Summe der Einzel­teile – also das, was die einzelnen Akteure leisten könnten. Das ist der Team­ge­danke dieses Konzepts, den ich als zentral empfinde. Man analy­siert die bestehende Situa­tion vor Ort und entscheidet dann, welche Instru­mente benö­tigt werden und wie diese bei welchen Wech­sel­wir­kungen im Krisen­ge­biet zum best­mög­li­chen Output beitragen können – das ist Vernetzte Sicher­heit“.

Die Vernet­zung von welchen Akteuren und welchen Instru­menten meinen Sie konkret?

Kinzel: Mili­tä­ri­sche, zivile, wirt­schaft­liche, und entwick­lungs­po­li­ti­sche Instru­mente und teil­weise auch darüber­hin­aus­ge­hende Mittel und Kräfte. Das komplette Port­folio.

Wie kann man sich die Zusam­men­ar­beit dieser Akteure konkret vorstellen?

Kinzel: Wie in einem Netz. Alle Akteure sollen mitein­ander verbunden sein. Es ist enorm wichtig, dass deut­lich ist, wer welche Fähig­keiten, Stärken und Schwä­chen besitzt. Stellen Sie sich das wie bei einem Werk­zeug­kasten vor. In einem Moment brauche ich dieses Werk­zeug, aber schon im nächsten Moment kann sich die Situa­tion ändern und dann brauche ich andere Werk­zeuge. Und diese Werk­zeuge und Akteure müssen mitein­ander kommu­ni­zieren. Das können Orts­kräfte sein, oder inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tionen, Streit­kräfte anderer Nationen, die Vereinten Nationen oder das inter­na­tio­nale Rote Kreuz und viele, viele mehr.

Ich bin fest davon über­zeugt, dass es schon ganz schlau ist, wenn man wech­sel­seitig weiß, was der Andere tut und das Ganze plan­voll zusam­men­führt und nicht dem Zufall über­lässt.

Meine Lebens­er­fah­rung sagt mir, dass aus einem zufäl­ligen Zusam­men­spiel in manchen Lebens­be­rei­chen etwas Gutes entstehen kann, dass dies in komplexen Krisen­si­tua­tionen aber nur selten zum besten Ergebnis führt.

Das bedeutet, das Ergebnis dieser Vernet­zung kann auch oft so ausfallen, dass nur ein einziges Werk­zeug zum Einsatz kommt, zum Beispiel nur das der huma­ni­tären Hilfe?

Kinzel: Natür­lich! In vielen Situa­tionen haben Streit­kräfte gar nichts verloren, oder sie sind nur zeit­weise da und ziehen sich dann wieder zurück. Ich denke aller­dings, dass das Militär im Allge­meinen die Tendenz hat, in einer unüber­sicht­li­chen Krise vor Ort die Feder­füh­rung zu über­nehmen. Das kann auf zivile Partner mitunter einschüch­ternd wirken und eben sehr mili­tä­risch, daran sind wir nicht ganz unschuldig.

Sehen Sie, beim Militär stehen wir bei Krisen vor dem Problem, dass wir uns erstmal ein Bild von der Lage machen müssen. Oft ist diese sehr unklar. Wo ist das Problem? Welche Akteure sind vor Ort? Welche Inter­essen verfolgen sie? Welche Verluste oder Verletzte gibt es und wo? Unab­hängig davon, ob es sich um ein Erdbeben, Völker­mord oder einen Ausbruch von Über­fallen handelt. Wir müssen zuerst genau wissen, was passiert ist. Wie ist die Lage vor Ort?

Und diese Erstel­lung eines Lage­bildes ist nun einmal der erste Schritt einer jeden mili­tä­ri­schen Aktion. Häufig hat keine andere Orga­ni­sa­tion die tech­ni­schen Möglich­keiten dazu. Auch andere Akteure wie die Vereinten Nationen haben häufig keine eigenen Mittel, ein solches Lage­bild zu erstellen.

Das heißt, wir müssen uns selber ein Bild machen. Und wenn wir dann vor Ort in Uniform, bewaffnet und mit mili­tä­ri­schem Gerät auftau­chen und in unserer klaren kurzen Befehls­sprache versu­chen die Initia­tive zu ergreifen, dann kann das auf einige Akteure einschüch­ternd wirken oder sie fühlen sich zur Seite gedrängt. Das verstehe ich gut.

Aber einen anderen Weg, um unter hohem Zeit­druck an gesi­cherte Infor­ma­tionen zu kommen, sehe ich oft nicht.

Nicht-staat­liche Orga­ni­sa­tionen, die seit Jahren vor Ort sind, haben keine wert­vollen Infor­ma­tionen?

Kinzel: Doch, natür­lich! Wir versu­chen immer auch im Rahmen von civil-mili­tary coope­ra­tion“ genau diesen Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zu insti­tu­tio­na­li­sieren.

Denn im Einsatz selbst darf man damit nicht erst­mals anfangen, dann ist es oft schon zu spät. Wenn während eines Einsatzes beispiels­weise in einem Über­schwem­mungs­ge­biet plötz­lich fest­ge­stellt wird, dass die Rettungs­kräfte von Polizei Feuer­wehr, THW und Bundes­wehr aufgrund nicht kompa­ti­bler Funk­ge­räte nicht mitein­ander kommu­ni­zieren können, lässt sich das vor Ort kaum noch in den Griff bekommen. So etwas darf doch nicht passieren! Solche Szena­rien muss ich vorher gemeinsam üben und solche Probleme vorher abstellen. Deswegen ist der Vernetzte Ansatz“ so wichtig!

Welche Erfah­rungen während Ihrer aktiven Zeit in West­afrika bestärken Sie beson­ders in der Verfol­gung dieses Konzeptes?

Kinzel: Ebola! UNMEER“ – das heißt ausge­schrieben UN Mission for Ebola Emer­gency Response“! Das war für mich ein persön­li­ches Erlebnis, wo zivile und mili­tä­ri­sche Bausteine in Teilen super inein­an­der­ge­griffen haben. Da bin ich zum Beispiel einfach zum Flug­hafen nach Ghana gefahren, zum Büro des dort ansäs­sigen Lagers der Welt­hun­ger­hilfe und habe an die Tür geklopft und gefragt, wer der Verant­wort­liche ist. Das anschlie­ßende Gespräch ergab, dass es großen Bedarf an Luft­trans­port­ka­pa­zität zur Ausstat­tung der in den betrof­fenen Ländern einzu­rich­tenden Behand­lungs­zen­tren gab. Es fehlte an allem! Das deut­sche Angebot, hier mit zwei Transall-Flug­zeugen auszu­helfen, fand große Begeis­te­rung. Letzt­end­lich sind wir fast ein halbes Jahr lang mit zwei Flug­zeugen täglich die Haupt­städte der drei von Ebola betrof­fenen Länder ange­flogen und haben Hilfs­mittel gelie­fert. Dort am Flug­hafen in Ghana ist dann übri­gens auch quasi über Nacht das UNMEER“-Hauptquartier entstanden.

Abge­sehen davon, dass es über die Effi­zienz der Ebola-Hilfe sehr geteilte Meinungen gab, war bei diesem Einsatz zumin­dest die Ziel­set­zung der verschie­denen Akteure dieselbe.

Anders sieht dies oft in Krisen- und Kriegs­ge­bieten aus. Sehen Sie kein Konflikt­po­ten­zial bezüg­lich der verschie­denen Ziel­set­zung von huma­ni­tären, nicht-staat­li­chen Orga­ni­sa­tionen und staat­li­chen Akteuren wie dem Militär? Und was halten Sie der Kritik vieler NGO‘s entgegen, ihre Sicher­heit würde dadurch gefährdet, dass sie als Teil einer Besat­zungs­macht wahr­ge­nommen würden?

Kinzel: Diesen Einwand verstehe ich gut. Gerade Entwick­lungs­helfer in schwie­rigen Sicher­heits­si­tua­tionen wollen oft nicht mit Soldaten in Verbin­dung gebracht werden, weil sie dadurch in Gefahr geraten können. Nicht durch die Soldaten selbst aber klar: Wenn du unbe­waffnet bist, bist du darauf ange­wiesen, dass deine Umwelt dir wohl­ge­sonnen ist und man dich nicht als Konflikt­partei wahr­nimmt, als von außen eingrei­fender Akteur.

Aber letzt­end­lich befürchte ich, dass du immer als Außen­ste­hender“ wahr­ge­nommen wirst – das war zumin­dest meine Erfah­rung, die ich in West­afrika gewonnen habe. Allein schon die Haut­farbe macht dich zumin­dest in Afrika immer irgendwie zu einer Partei. Zumin­dest aus der Wahr­neh­mung vieler Menschen vor Ort. Manche Gruppen sagen offen: Ihr seid die Weißen“, ihr wollt uns ausbeuten“ oder ihr seid Kolo­nia­listen!“ – und verdenken kann man ihnen das oft natür­lich nicht.

Worauf ich hinaus will, ist, dass ich die Angst vieler NGO-Mitar­beiter, als Konflikt­partei wahr­ge­nommen zu werden, verstehe. Aber ein Stück weit ist das eben auch einfach ein system­im­ma­nentes Problem.

Aber mit dieser Proble­matik gehen NGO-Mitar­beiter doch seit Jahr­zehnten um. Trotzdem haben sie auf das Konzept der Vernetzten Sicher­heit“ bezogen große Bedenken und fürchten vermehrt um ihre Sicher­heit.

Kinzel: Ja, das kann ich nach­voll­ziehen! Es gibt nun einmal diese Neben­wir­kungen. Ich befürchte, dass es in dem Moment, wo man mit Streit­kräften auch Gewalt ausübt, diese Neben­ef­fekte immer gibt, auch wenn wir natür­lich versu­chen, diese möglichst klein zu halten. Wie jedes Medi­ka­ment hat auch jede Maßnahme Neben­wir­kungen, die man nicht gänz­lich abstellen kann.

Herr Kinzel, vielen Dank für das Gespräch.


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