Im Laby­rinth der Asyl­an­trags­stel­lung

Datum
07. September 2015
Autor*in
Claudia Hammermüller
Thema
#ZukunftsTour 2016
asyllabyrinth

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Der Weg eines Asylantrags. Foto: Claudia Hammermüller

Im ersten Halb­jahr 2015 wurden in Deutsch­land bereits über eine Vier­tel­mil­lion Anträge auf Asyl gestellt. Alles ganz einfach? Von wegen. Pia Kohbrok führt in einem Work­shop auf der Zukunfts­Tour in Hamburg durch den Irrgarten der Antrags­stel­lung und erklärt, dass Flücht­ling‘ eigent­lich ein geneh­migter Status ist und das Menschen­recht auf Asyl nicht immer geachtet wird.

Asyllabyrint

Begriffe zuordnen: Der Weg eines Asylantrags und was an welcher Stelle zu erwarten sein kann. Foto: Claudia Hammermüller

Was bedeutet Asyl?“ fragt Pia in die Runde. Die Frage beant­wortet sie schnell selbst: Obhut und Schutz der Menschwürde.“ Asyl bekomme jedoch nicht jede*r und wenn, dann zeit­lich begrenzt, nie ein Leben lang. Pia arbeitet als freie Bildungs­re­fe­rentin für Peace brigades inter­na­tional e.V. (pbi). Die inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tion setzt sich für Frieden und die Achtung der Menschen­rechte ein. Eine Grund­lage dafür ist die 30 Artikel umfas­sende Erklä­rung der Menschen­rechte der UN-Gene­ral­ver­samm­lung von 1948. Artikel 14 beschäf­tigt sich mit dem Recht auf Asyl. Forsch stellt Pia nach dieser kurzen Einfüh­rung ihre nächste Frage: Wer bekommt Asyl?“ Die Antwort: Jeder, der durch das Antrags­ver­fahren kommt.

Alles Genfer Konven­tion?

Die Genfer Flücht­lings­kon­ven­tion von 1951 defi­niert in den Worten der Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung Asyl­recht als das Recht eines aus poli­ti­schen, rassi­schen, reli­giösen oder anderen Gründen Verfolgten, an einem vor Verfol­gung sicheren Aufent­haltsort Zuflucht finden zu können.“ Keine Gründe für Asyl sind somit Bürger­kriege, Natur­ka­ta­stro­phen, Armut oder Perspek­tiv­lo­sig­keit. Da es jedoch keine bindende euro­päi­sche Asyl­re­ge­lung gibt, kann jeder Staat eigene Maßstäbe setzen. In Deutsch­land besteht beispiels­weise die Möglich­keit, huma­ni­tären bezie­hungs­weise subsi­diären Schutz zu erhalten: So gut wie alle Syrer erhalten diesen Status momentan“, erklärt Pia. Der Titel ist ein Jahr lang gültig und kann verlän­gert werden. Solange sich an der derzei­tigen Situa­tion nichts ändere, könnten die Menschen in der Regel auch in Deutsch­land bleiben, so 27-jährige Sozial- und Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin.

Der Weg von der Einreise bis zum Flüchtlingsstatus

Im Workshop wurde der Weg von der Einreise bis zum Flüchtlingsstatus theoretisch durchlaufen. (Foto: Claudia Hammermüller)

Geflüch­tete sind nicht gleich Flücht­linge

Ein Flücht­ling ist aller­dings erst, wer es erfolg­reich durch das Asyl­be­wer­ber­ver­fahren geschafft hat und den aner­kannten Status des Flücht­lings erhält, erläu­tert Pia: Geflüch­tete sind nicht immer Flücht­linge. Der Begriff führt oft zu Verwir­rung.“ Wer als aner­kannter Flücht­ling Asyl gewährt bekommt, behält den Status für drei Jahre, mit der Möglich­keit auf Verlän­ge­rung. Aner­kannte Flücht­linge haben die Möglich­keit ein relativ normales, selbst bestimmtes Leben zu führen – Asyl­be­werber nicht“, so Pia. Nur die Schul­pflicht, die gilt für jeden, auch für Geflüch­tete“, ergänzt sie. Außer in Baden-Würt­tem­berg, das als einziges Bundes­land ein Schul­recht, aber keine Schul­pflicht hat.

Länder­sache

Ziel von Asylsucher*innen sind in der Regel große Städte wie München, Frank­furt, Berlin und Hamburg. In der Hanse­stadt kommen täglich um die 300 Geflo­henen an“, berichtet Pia. Sie werden zunächst in die Zentralen Erst­auf­nah­me­ein­rich­tungen (ZEA) gebracht. Dort müssen sie laut Gesetz eigent­lich nur sechs Wochen bleiben, zurzeit jedoch teil­weise über ein Jahr. Nach dem soge­nannten Königs­steiner Schlüssel werden die Schutz­su­chenden anschlie­ßend auf die Bundes­länder verteilt. Die Quote berechnet sich zu zwei Drit­teln nach dem Steu­er­auf­kommen und zu einem Drittel nach der Bevöl­ke­rungs­zahl des jewei­ligen Bundes­landes. Im ersten Halb­jahr 2015 regis­trierte Hamburg beispiels­weise 18 245 Asyl­su­chende, von denen 8 168 im Stadt­staat verblieben. Vom Bundes­land und den jewei­ligen Auslän­der­be­hörden hängt letzt­end­lich ab, wie die Asyl­su­chenden unter­ge­bracht und in welcher Form und wie oft die Leis­tungen des bundes­weiten Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setztes erbracht werden“, sagt Pia. Über den einge­reichten Asyl­an­trag selbst entscheidet das Bundesamt für Migra­tion und Flücht­linge (BAMF).

Während des Workshops

Pia (rechts) lässt die Workshopteilnehmer*innen die Stationen bis zum Flüchtlingsstatus selbst erarbeiten. Einige der Teilnehmer*innen sind wie Hannah Hosseini (2.v.l) selbst im Bereich Asyl und Migration tätig. (Foto: Claudia Hammermüller)

Klage und Kirchen­asyl

Wer abge­lehnt wird, erhält die Auffor­de­rung frei­willig auszu­reisen. Wer dieser Folge leistet, erhält kein Einrei­se­verbot für die Bundes­re­pu­blik. Aber würdet ihr, nachdem ihr vor Hunger oder Krieg geflohen seid, frei­willig dorthin zurück gehen?“, fragt Pia in die Runde. Schweigen. Immerhin bleibe nach der Ableh­nung des Antrags noch das Recht auf Klage. Die Kosten dafür müsse aller­dings jede*r selbst zahlen. Ein Recht auf Hilfe gibt es nicht. Ledig­lich Orga­ni­sa­tionen und Initia­tiven wir ProAsyl, Law Clinics und lokale Flücht­lings­räte unter­stützen Kläger*innen. Aller­dings verlän­gert eine Klage den Zeit­raum bis zur Zwangs­ab­schie­bung nicht, sollte ein Eilan­trag abge­lehnt worden sein. Dann kann Kirchen­asyl eine letzte Möglich­keit sein“, meldet sich eine Teil­neh­merin des Work­shops zu Wort. Hannah Hoss­eini arbeitet für den Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kirchen­kreis Hamburg-Ost im Bereich Migra­tion und Asyl. Kirchen­asyl sei eine Grau­zone: Es werde den Behörden gemeldet, aber die Menschen seien nur auf dem Gelände der Kirche davor sicher, aufge­griffen und abge­schoben zu werden. Die Polizei geht dafür norma­ler­weise nicht auf Kirchen­ge­lände, sonst könnte es zu einem Konflikt zwischen Kirche und Staat kommen. Das will keiner von beiden“, sagt Hannah Hoss­eini.

Dublin III-Verfahren

Hinzu komme, dass alle, die sich in Kirchen­asyl befinden, nicht als unter­ge­taucht gelten. Das ist von Bedeu­tung, wenn die Person in einem anderen Land als Deutsch­land ange­kommen und regis­triert wurde. Denn das euro­pa­weit gültige Dublin-Verfahren legt fest, dass ein Asyl­an­trag in dem Land gestellt werden muss, in dem die Erst­ein­reise erfolgte. Wer in Italien regis­triert wurde, aber in Deutsch­land einen Asyl­an­trag stellt, kann nach Italien zurück gebracht werden. In Fällen des Kirchen­asyls bleibt die sechs­mo­na­tige Frist für die Über­stel­lung in den anderen Staat bestehen, und nicht eine 18-Monats­frist wie für Menschen, die als unter­ge­taucht gelten“, erklärt Hannah Hoss­eini. Nach Ablauf der Über­stel­lungs­frist fällt die Zustän­dig­keit an das Land der Antrags­stel­lung. Auch hier bestä­tigen Ausnahmen wieder die Regel: Für Syrer*innen werde die Rück­über­stel­lung zurzeit faktisch ausge­setzt, teilte das Bundesamt für Migra­tion und Flücht­linge im August 2015 mit. Das Recht auf Asyl ist ein sehr komplexes System. Jeder darf sich davon selbst ein Bild machen, wie gerecht es ist. Ich möchte mir kein Urteil anmaßen“, beendet Pia schließ­lich den über einstün­digen Work­shop.


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