Für den Sieger Aufkle­be­bärte und ein Tampon

Datum
18. September 2015
Autor*in
Dennis Beltchikov
Thema
#ZukunftsTour 2016
Petryslam 11

Petryslam 11

Die Zukunfts­Tour in Potsdam findet ihren Ausklang mit dem Havel Slam“, einem Poetry Slam zu globalen Themen. Dennis Belt­chikov schaute zu und schil­dert seine Eindrücke.

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Die Moderatoren Temye Tesfu (l.) und Robin Isenberg (r.) führen durch den Abend / Foto: Lilith Grull

Mitt­woch Abend, der Ende eines ereig­nis­rei­chen Tages. Voller Eindrücke über Nach­hal­tig­keit, globale Entwick­lungs­po­litik und nach zahl­rei­chen Inputs bietet die Zukunfts­Tour in Potsdam ihren Besu­chern mit dem Havel Slam“ einen etwas entspann­teren letzten Programm­punkt – vor allem aber eine neue Vermitt­lungs­ebene der Thematik: Lyrik. In ruhiger Abend­stim­mung, fernab der tags die Laut­stärke domi­nie­renden Schul­klassen, empfängt die Pots­damer Schin­kel­halle zum Slam. Fünf Poeten aus den unter­schied­lichsten Ortschaften Deutsch­lands stellen sich dem inter­es­sierten Publikum, um zu slammen. Stets unter dem Grund­satz respect the poems“ bewerten fünf Frei­wil­lige aus dem Publikum – von den Mode­ra­toren auch Volks­ver­treter“ genannt – die inhalt­liche Leis­tung, aber auch die szeni­sche Darbie­tung des lyri­schen Spek­ta­kels auf einer Skala von eins bis zehn. Von den fünf Wertungen werden jeweils die höchste und die nied­rigste gestri­chen, um Ausreißer zu vermeiden. Die Plat­zie­rungen ergeben sich also aus der Summe der drei mitt­leren Wertungen. Durch den Abend führen die unter­halt­samen Mode­ra­toren Temye Tesfu und Robin Isen­berg.

Ich sehe euch zwar nicht, aber ihr seid sympa­thisch.“

Noch vor Beginn des eigent­li­chen Slams darf man sich auf den special act“ BAASZ­TIAN, selbst­be­zeich­nender Comedy-Singer-Song­writer, über den Blick­winkel eines Migran­ten­kindes auf entwick­lungs­po­li­ti­sche Themen wie Klima­schutz oder Globa­li­sie­rung freuen. Ruck­zuck geht es aber weiter und schon steht der erste Slammer auf der Bühne. Ganz selbst­ver­ständ­lich begrüßt Stefan Dörsing aus Wetzlar uns erst einmal herz­lich: Ihr seid mir alle sympa­thisch. Auch ihr da hinten. Ich sehe euch zwar nicht, aber ihr seid sympa­thisch.“ Danke. Dörsing erzählt von bescheu­erten Dingen“, kommt auf Pseu­do­in­di­vi­dua­lismus zu spre­chen und berei­chert seinen Slam durch lustige szeni­sche, aber auch musi­ka­li­sche (Rap)Einlagen. Sein Text handelt vom Wohl­stands­opfer“ und ist eine humor­voll umge­setzte Gesell­schafts­kritik. Er kassiert 25 von 30 Punkten.

Absur­dität führt zum Nach­denken

Auf Dörsing folgt Herold: Phillip Herold aus Heidel­berg möchte uns erst einmal sein Lebens­motto nahe bringen: Ficke nicht dein Leben, sondern lebe deinen Fick“, okay, wieso eigent­lich nicht? Er schließt an mit einer Anek­dote über den Ort, an dem der Pfeffer wächst. Herolds Text ist ein wenig märchen­las­tiger und damit anders als man es von klas­si­schen Slams gewohnt ist. Aber es hat etwas Beson­deres. Über­zeu­gend legt Herold diese kleine philo­so­phi­sche Geschichte dar und verdient sich dadurch 26 Punkte. Und nun folgt jemand, der wahr­schein­lich noch weniger Bart­wuchs hat als ich“, stellt der 19-jährige Mode­rator Robin Isen­berg den amtie­renden Slam­m­eister Berlin-Bran­den­burgs, Noah Klaus, vor. Mal arm, mal reich gewesen, wolle Klaus mit uns einige Weis­heiten teilen: Lebens­an­sichten eines verzo­genen Bonzen“ ist hoch­ko­mö­di­an­tisch und lässt einen gerade deshalb im Nach­hinein sein eigenes Konsum­ver­halten kritisch reflek­tieren. Es sind diese Über­spit­zungen, die die Absur­dität unseres Verhal­tens deut­lich machen und zum Hinter­fragen anregen. Noah Klaus erhält 21 Punkte.

Aufkle­be­bärte und ein Tampon für den Sieger

Zwischen­durch werden auch Geschenke einge­sam­melt – für den Gewinner. Die Mode­ra­toren reichen eine Tüte durch das Publikum, in die jeder, der möchte, einen möglichst unge­wöhn­li­chen Gegen­stand zulegen soll. Am Ende füllen die inter­es­san­testen Dinge die Tüte: Der Gewinner darf sich über Aufkle­be­bärte, Sani­fair-Bons, eine mathe­ma­ti­sche Formel­samm­lung, über einen Tampon und vieles mehr freuen. Noch einfa­cher hätte man sich wohl kaum ein Bild über die Menschen im Publikum machen können. Und zu guter Letzt die einzige Dame des Abends: Die Hambur­gerin Fran­ziska Holz­heimer hat mit Mehr­wert“ eine Kapi­ta­lis­mus­kritik über die Atti­tüde einer globalen Finanz­welt“ geschrieben und legt uns diesen Beitrag sehr bild­haft dar. Durch Provo­ka­tionen wie Dein Selbst­wert ist dein Gehalt“, Sieh das Leben als ein Ticket zum Entwerten“ oder Mensch­lich­keit? Ach, du meinst Human­ka­pital!“ kriti­siert sie gekonnt die Profit­gier unserer Zeit und legt einen span­nenden Slam hin. Es werden 21 Punkte.

Ein Gewinner, aber keine Verlierer

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Temye Tesfu, Noah Klaus, Julian Heun (oben, l. nach r.), Stefan Dörsing, Philip Herold (unten, l. nach r.) / Foto: Lilith Grull

Nach einer Pause werden Stefan Dörsing, Phillip Herold und Noah Klaus aufgrund ihrer hohen Punkt­zahlen zum Finale geladen und sind in dieser letzten, entschei­denden Runde nicht mehr an thema­ti­sche Einschrän­kungen gebunden. Es folgen mytho­lo­gi­sche Annä­he­rungen an das Element Feuer“ von Phillip Herold, ein offener Brief an die NSA von Noah Klaus („Ihr habt also Meta­daten gesam­melt? Ja klar, ich hab‘ auf Youporn letz­tens auch nur Meta­daten gesam­melt!“) und einige Lebens­weis­heiten á la Eins plus eins ist eins oder eben elf“ von Stefan Dörsing.

Nach drei weiteren, quali­tativ sehr hoch­wer­tigen Beiträgen, wird nun, wie sonst auch beim Poetry Slam üblich, nach Publi­kums­ap­plaus entschieden, wer gewonnen hat. Doch die Mode­ra­toren können sich nicht einigen und so muss, anläss­lich der Räum­lich­keit der Schin­kel­halle Potsdam, auf die Schinkel-Abstim­mung“ zurück­ge­griffen werden: Das Publikum soll jeweils für jeden der drei Fina­listen Schinkel“ rufen. Das klingt kompli­ziert, ist es aber nicht: Der Slammer, bei dem am lautesten Schinkel“ gerufen wird, hat gewonnen.

Nach einigen Schin­kels“ und einer kurz­wei­ligen Absprache der Mode­ra­toren können die beiden verkünden: Stefan Dörsing ist Erst­plat­zierter! Philip Herold und Noah Klaus teilen sich den zweiten Platz. Beim Slam gibt zwar nur einen Sieger, aber keine Verlierer. Denn jeder Slam ist ein Gewinn.


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