Fremd­heit in Bildern

Datum
06. November 2015
Autor*in
Inga Dreyer
Thema
#JMT15
Migrantenbilder

Migrantenbilder

Sie sitzen in über­füllten Booten – ohne Namen und ohne Gesicht. Solche Bilder von flüch­tenden Menschen sind allge­gen­wärtig. Doch was lösen sie aus? Welchen Einfluss haben sie auf die Wahr­neh­mung von Geflüch­teten und: Gibt es Alter­na­tiven? Franco Zotta und Najim Azahaf sensi­bi­li­sieren in ihrem Work­shop für die Macht der Bilder.

Das erste, was von einem Beitrag ins Auge fällt, ist das Bild. Es gibt einen Eindruck vom Thema, noch bevor sich dem*r Lesenden der Inhalt des Geschrie­benen erschließt. Häufig sind Texte viel diffe­ren­zierter, als es das Bild ausdrückt“, sagt Franco Zotta. Als Projekt­ma­nager bei der Bertels­mann Stif­tung kümmert er sich vor allem um die Aus- und Weiter­bil­dung von Journalist*innen. In seinem Vortrag bei den Jugend­me­di­en­tagen zeigt er, dass in deut­schen Medien viel zu häufig zu denselben Bildern gegriffen wird. Bilder, die zwar echt sind, aber nicht unbe­dingt den Kern des Themas treffen. So wird das volle Boot zum Sinn­bild für alles, was mit Geflüch­teten zu tun hat. Eine anonyme Masse, die über das Meer kommt, erzeugt das Gefühl von Bedro­hung.

Verschlei­erte Frauen stehen sinn­bild­lich für Zuwan­de­rung

Dabei geht es auch anders. Das gleiche Thema, ein anderes Motiv: Ein geflüch­teter Mann mit großem, offenen Blick im Mittel­punkt. Auch er sitzt in einem Boot, um ihn herum andere Menschen. Doch hier wird ein Gesicht, ein Indi­vi­duum gezeigt. Franco Zotta betont, dass es nicht darum gehe, bestimmte Bilder zu tabui­sieren, doch er fordert mehr Viel­falt. Und ein größeres Gespür für die Folgen, die es haben kann, wenn ein bestimmtes Thema mit den immer glei­chen Fotos besetzt wird. Ein typi­sches Beispiel für diese Funk­ti­ons­weise ist das Kopf­tuch. Der Refe­rent zeigt anhand von Online-Arti­keln deut­scher Medien, dass das Thema Zuwan­de­rung häufig mit verschlei­erten Frauen illus­triert wird. Das bedeutet: Migra­tion wird mit dem Islam gleich­ge­setzt und der wiederum steht sinn­bild­lich für das Andere. Das Kopf­tuch wird ikono­gra­phisch für das Fremde“, erklärt Franco Zotta. Oftmals sei es ein Kurz­schluss in den Redak­tionen“, Fotos von Frauen mit Schleier zu verwenden – oftmals gesichtslos von hinten. Beson­ders bei Bildungs­themen sei dies zu beob­achten. Musli­mi­sche Frauen würden so zum Inbe­griff derer, die noch etwas zu lernen hätten.

Daten­banken spucken immer gleiche Bilder aus

Einen Grund sieht der gelernte Jour­na­list in der Funk­ti­ons­weise von Foto-Daten­banken. Am Beispiel der Deut­schen Presse-Agentur zeigt er, dass zu bestimmten Schlag­worten nur eine sehr enge Auswahl von Bildern auftaucht. Bei Migra­tion“ und Arzt“ etwa sei immer der Patient der mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Journalist*innen greifen oft einfach zum Grif­figsten, was da ist. Und die Fotograf*innen machen Bilder, von denen sie wissen, dass sie genommen werden. So bedingt sich beides gegen­seitig. Zotta und sein sein Kollege Najim Azahaf von der Bertels­mann Stif­tung arbeiten deshalb an einem Projekt, dass die Viel­falt erhöhen soll. Fotograf*innen werden beauf­tragt, eine komple­xere Bild­sprache zu entwi­ckeln. Gleich­zeitig soll eine Studie Muster in der Verwen­dung von Fotos aufde­cken. Mit den Ergeb­nissen wollen die Mitarbeiter*innen der Bertels­mann Stif­tung in Redak­tionen gehen und zu Weiter­bil­dungen einladen.

Migrant*innen sind in deut­schen Redak­tionen unter­re­prä­sen­tiert

Die beiden Refe­renten aber auch die Teilnehmer*innen der Diskus­sion machen deut­lich, dass die Ursa­chen für die domi­nie­rende Bild­sprache jedoch nicht nur bei den Daten­banken liegen, sondern auch bei deren Nutzern. Als Verant­wort­liche werden sowohl Agen­turen, also auch Fotograf*innen, Chefredakteur*innen und Journalist*innen genannt. Ein Problem sei auch, dass der weiße Mittel­stand in der deut­schen Medi­en­land­schaft über­re­prä­sen­tiert ist, sagt Franco Zotta. Die Quote von Migrant*innen in den Redak­tionen liege etwa bei zwei bis drei Prozent. Eine winzige Zahl vergli­chen mit dem Anteil von Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in der Gesamt­ge­sell­schaft.


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