Ein neues Ich, ein neues Du. Ein neues Wir?

Datum
28. Mai 2015
Autor*in
Ruth Arnskötter
Thema
#JMWS15
EinneuesIch_Tobias-Mittmann_jugendfotos.de_CC-BY-NC

EinneuesIch_Tobias-Mittmann_jugendfotos.de_CC-BY-NC

Foto: Tobias Mittmann, jugendfotos.de, CC-BY-NC

Wir nutzen, wir kaufen, wir laden herunter. Mit der uns ganz eigenen Naivität lassen wir, die Digital Natives“, uns auf alles ein, was uns vorge­schlagen wird. Es scheint, als ginge aus der Bezeich­nung als Einge­bo­rene ein Nutz­zwang hervor, der uns als Gene­ra­tion dazu treibt, sämt­liche Möglich­keiten der digi­talen Welt zu erproben: Bloggen, Chatten, Skypen, Shoppen.

Ein ganzer Wirt­schafts­zweig ist in den letzten 20 Jahren wie von Zauber­hand aus dem Boden geschossen. Ein Wirt­schafts­zweig, der unsere schöne neue (zweite) Welt aufrecht­erhält und sie durch seine Ange­bote und unsere Nach­frage lenkt.

Das Prinzip ist denkbar einfach: Ein Tausch­ge­schäft zwischen einem Dickicht aus mitein­ander verbun­denen Konzernen und einer Einzel­person. Wir tauschen reale, persön­liche Daten gegen die tech­ni­sche Möglich­keit ein zweites, drittes, viertes Ich zu erschaffen. An wen diese Daten weiter­ge­geben werden, inter­es­siert uns nicht. Viel zu groß ist die Verlo­ckung, sich neu zu erfinden. Du selbst bist ständig nicht mehr up to date. Schon wieder gibt es eine neue Version, ein Update. Und weil uns unser digi­tales Profil längst nicht mehr nur in der digi­talen Welt vertritt, sondern immer mehr zum Namens­schild an unserer gesell­schaft­li­chen Haustür wird, geraten wir einen Strudel der Aktua­li­sie­rungen. Ein neues Bild, ein neuer Status, ein neuer Tweet. Was als neugie­riger, frei­wil­liger Beitritt begann, wird für die Jugend von Heute zu einer stun­den­ver­schlin­genden Verpflich­tung, die penibel und ohne jegliche Frage nach dem Sinn erfüllt wird.

Wer nicht online ist, wird nicht einge­laden

Manche von uns versu­chen sich zu wehren und wollen sich diesem gewal­tigen Grup­pen­zwang entziehen. Doch das ist kaum mehr möglich. Zulas­sungs­be­schränkte Freun­des­kreise sind entstanden, jede Clique hat ihre eigene WhatsApp- oder Face­book­gruppe. Wer nicht mitliest, hat schlichtweg keine Chance auf soziale Kontakte und Verab­re­dungen.

Was bleibt dem jugend­li­chen Zoon poli­tikon“ also übrig? Wir alle brau­chen uns gegen­seitig, also machen wir mit. So treiben wir eine wahn­sinnig span­nende Entwick­lung voran, bauen uns ein undurch­schau­bares Netz aus endlosen Verknüp­fungs­mög­lich­keiten auf und machen uns damit als Gene­ra­tion einzig­artig. Die von unseren Zweit­i­den­ti­täten bevöl­kerte Paral­lel­welt hat sich kompro­miss­lose Meinungs­frei­heit auf die Fahnen geschrieben: Jeder kann posten, was er denkt, aufrufen, wozu er möchte. Und weil wir, naiv wie wir sind, davon ausgehen, dass alles richtig ist, was in unserer digi­talen Welt gesagt und getan wird, tragen wir es, nachdem wir es gelikt und geteilt haben, als unsere eigene, persön­liche Meinung und als unser angeb­lich selbst­be­stimmtes Handeln in die reale Welt hinaus.

Kompro­miss­lo­sig­keit und Naivität waren schon immer das Vorrecht der Jugend. Aber wird sich unsere phäno­menal leicht­sin­nige Vernet­zung in Zukunft wirk­lich als für die Gesell­schaft irrele­vante Jugend­sünde heraus­stellen?

Was die Autorin zuletzt gepostet hat und welche digi­tale Trends im Jour­na­lismus sie beob­achtet, könnt ihr hier auf mitmi​schen​.de nach­lesen.


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