Die ökofaire Berlin-Jeans

Datum
23. April 2016
Autor*in
Corinna von Bodisco
Thema
#ZukunftsTour 2016
green fashion tour map quad

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Eine Green Fashion Tour Map mit handeingezeichnetem Tourverlauf. Foto: Corinna v. Bodisco

Bis aus Baum­wolle eine Jeans wird fließen 11.000 Liter Wasser in die Produk­tion. Geht es auch fair und umwelt­scho­nend? Auf den Green Fashion Tours werden Berliner Läden mit nach­hal­tigen Methoden und Design­stra­te­gien vorge­stellt. Ein Bericht.

Green Fashion Tour ZukunftTour

Kurz vor dem Start vor dem Radialsystem mit Tour Guide Anna Perrottet. Foto: Corinna v. Bodisco

Vor dem Radi­al­system haben sich außer mir noch fünf weitere neugie­rige Teil­neh­me­rinnen um die Green Fashion Tour Guide Anna Perrottet versam­melt. In Zusam­men­ar­beit mit der Platt­form Get Changed!“ (The Fair Fashion Network), The Upcy­cling Store“ und Hola Berlin“ führt die Fach­frau in Sachen Grüne Mode Gruppen durch Berlin. Gemäß der Green Fashion Tour Road Map werden fünf verschie­dene Touren ange­boten, ab fünf Interessent*innen kann auch eine maßge­schnei­derte Tour gebucht werden. Heute trägt Anna ihre Jacke falsch herum – das Made in“ Schild soll die Klei­dungs­her­kunft sichtbar machen: Ein Zeichen der Fashion Revo­lu­tion (Veran­stal­tungen noch bis zum 24. April), die den Toten des 2013 einge­stürzten Textil­fa­brik­ge­bäudes Rana Plaza in Sabhar (Bangla­desh) gedenkt. Fokus der heutigen Tour ist die Faire Jeans. Wir werden vier Läden ansteuern, die ihr Jeans-Konzept vorstellen.

Station 1 | Münz­straße 5: Gebrüder StitchJeans nach Mass“

Gebrueder Stitch Berlin

Der "Arschsalon" der Gebrüder Stitch in der Münzstraße. Foto: Corinna v. Bodisco

Die Gebrüder Stitch, eigent­lich Mike und Moriz, sind ehema­lige Marke­ting-Fuzzis“, wie sie sich auf ihrer Website selbst nennen. In ihren Traum vom eigenen Jeans­label steckten sie eine gehö­rige Portion Arbeit und Geld. Vor fünf Jahren eröff­neten sie ihren ersten Salon in Wien , in Berlin gibt es die Gebrüder Stitch seit Ende Dezember 2015. Trotz der klar erkenn­baren indi­vi­du­ellen Hand­schrift des flip­pigen Marke­tings (auf der Website gibt es viel zu entde­cken – unter anderem ein Ökoquiz!) ist der Desi­gner Laden in Berlin noch nicht richtig ange­kommen.

Lena Richards geht den Gebrü­dern beim Maßnehmen zur Hand und meint: Berlin ist schon ganz anders als Wien. Even­tuell muss das Konzept umge­wan­delt werden“.

Der Ton ist stel­len­weise sehr wiene­risch: Bei uns in der Münz­straße kannst du – wie in Wien – Muster­hosen anschauen, gustieren, Hosen­ter­mine verein­baren, unsere Acces­soires kaufen oder einfach auf ein Trat­scherl und einen Eier­likör vorbei­kommen.“ Funk­tio­niert das auch in Berlin? In der Münz­straße sind viele Touristen unter­wegs, die eher nach Merchan­di­sing-Arti­keln Ausschau halten – ein nicht ganz perfekte Lage für einen Jeans­salon, der junge umwelt- und mode­be­wusste Berliner*innen als Ziel­gruppe anvi­siert.

Dennoch ist das Allein­stel­lungs­merkmal der Maßan­fer­ti­gung genau durch­dacht: Nach einem ersten Fitting“ wird die Jeans maßan­ge­fer­tigt, manchmal wird ein Zwischen­fit­ting einge­schoben – in jedem Fall ist der/​die Kund*in Teil des Prozesses.

Die Biobaum­wolle kommt aus der Türkei, wird entweder zu 100% oder zu 99% (+ 1% Elas­than) zur Jeans umge­wan­delt und so wenig wie möglich bear­beitet. Die Jeans kosten zwischen 210 bis 400 Euro und können auch zur Repa­ratur gebracht werden.

Station 2 | Max-Beer-Straße 3: FREITAG

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Aus der Freitagbroschüre: Die Multitalente in Sachen Nachhaltigkeit: Leinen und Hanf. Foto: Corinna v. Bodisco

Als wir den Laden betreten, steigt uns ein dezenter Geruch von LKW-Plane in die Nasen. Die Schweizer Firma FREITAG ist vor allem für seine Taschen aus der weit gereisten Plane bekannt geworden. Seit zwei Jahren gibt es auch Klei­dung, der Markt sei ausbau­fähig, erzählt uns der Store Manager Timo Waland.

Die FREITAG-Jeans hat gleich mehrere Beson­der­heiten: 1. Sie besteht nicht aus Baum­wolle, sondern aus Leinen oder aus Hanf. Diese textilen Rohstoffe benö­tigen weniger Dünger, Pesti­zide und Wasser beim Anbau. 2. Lokale Herstel­lung: Die Produk­ti­ons­wege betragen nicht mehr als 2.500 Km (bei anderen Jeans etwa 40.000 Km) 3. Die Stoffe sind 100% biolo­gisch abbaubar („prêt-à-composter“).

Preis: 150 – 190 Euro

Station 3 | Münz­straße 21: Nudie­jeans

Beim Eintritt in den schi­cken Hinterhof über­kommt mich der Gedanke: Das wird teuer und zu design-mäßig für meinen Geschmack.“ Nudie­jeans ist ein schwe­di­sches Label und laut Anna einer der Riesen im Ökobe­reich.

Umso mehr über­rascht die eher unkon­ven­tio­nelle Empfeh­lung: Die ganz steife (also unver­ar­bei­tete) Denim nach dem Kauf sechs Monate tragen und nicht waschen! Der/​Die Träger*in soll das gute Stück folg­lich selbst weich kriegen. Je unver­ar­bei­teter, desto preis­güns­tiger ist die Jeans (ab 89 Euro), je verar­bei­teter, desto teurer. Zudem kommen keine chemi­schen Bleich­mittel zum Einsatz, sondern die Methode der Ozon­bleiche (aufgrund der Anschaf­fung von Maschinen jedoch relativ kosten­in­tensiv) oder die ressour­cen­scho­nende Laser-Tech­no­logie.

Ich habe es durch­ge­halten und man bekommt eine ganz andere Bezie­hung zur Jeans!“, so Anna. Wenn nicht die Toma­ten­soße dazwi­schen­kommt“, entgegnet eine Teilnehmer*in.

Die Biobaum­wolle kommt wie bei den Gebrü­dern Stitch aus der Türkei und wird in Italien verar­beitet (gespinnt und gefärbt). Nudie­jeans bietet einen Repair­ser­vice an und ist Mitglied der Sozi­al­stan­dard-Initia­tive Fair Wear Foun­da­tion“, die sich unter anderem für Living Wages“ (Löhne, von denen man leben kann – im Gegen­satz zu gesetz­li­chen Mindest­löhnen) für die Hersteller*innen einsetzt.

Station 4 | Wiener Str. 16: Superm­arché

Fashion Revolution Supermarché

Der Flyer zum Fashion Revolution-Programm von Supermarché, Foto: Corinna v. Bodisco

Unsere vierte und letzte Station ist der Superm­arché, ein Einzel­handel mit mehreren Öko-Labels im Sorti­ment. Die Haus­marke Hirsch­kind, mit der in Form des T‑Shirts alles seinen Anfang nahm, findet man aber auch im Laden.

Laden­ei­gen­tümer Ben Irion zeigt und erklärt uns die Labels und merkt mit einer gesunden Portion Skepsis an, dass die Auswahl der Brands gar nicht so einfach sei. Denn meist beschränkt sich Fair“ auf die Zerti­fi­zie­rung der Stoffe. Mit Jeans ist es schwie­riger als bei einem normalen T‑Shirt.“ Manchmal kann die Kommu­ni­ka­tion die gemein­same Arbeit mit den großen erfolg­rei­chen Labels auch schwierig machen. Andere sind wiederum sehr ansprechbar und die Arbeit findet auf persön­li­cher Ebene statt. Der Superm­arché setzt sich verein­zelt auch für Projekte ein, für die es aufgrund des Kosten­auf­wandes nicht möglich ist, mit zerti­fi­zierter Biobaum­wolle zu arbeiten.

Der Laden­name soll sich kritisch zum Super­markt­kon­zept posi­tio­nieren. Anfangs wollten wir hier im Laden überall falsche Kameras aufhängen“, so Ben. Kritisch ist das Laden­kon­zept allemal – im Superm­arché finden vier Veran­stal­tungen im Rahmen der anfangs erwähnten Fashion Revo­lu­tion statt.

Mein Fazit:

Auch wenn man kein Desi­gnertyp ist, kann bei den Green Fashion Tours ein beträcht­li­ches Maß an Fakten über Faire Mode mitge­nommen werden. Die Ausein­an­der­set­zung mit den Laden­kon­zepten ist kritisch und die Diskus­sion sehr offen. Zu hoffen ist, dass sich die umwelt- und sozi­al­ver­träg­li­chen Konzepte bald in ganz Deutsch­land und Südeu­ropa ausbreiten, denn Berlin ist immer noch das unge­schla­gene Zentrum ökolo­gi­scher und fairer Mode­la­bels. Meine nächste Jeans unge­wa­schen zu kaufen und selbst zu zähmen“ erscheint mir jeden­falls eine gute Idee – maßge­schnei­dert muss sie aus Kosten­gründen aller­dings nicht sein.


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