An die eigene Nase fassen

Datum
08. September 2015
Autor*in
Claudia Hammermüller
Thema
#ZukunftsTour 2016
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (l.) und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (r.) auf der Hamburger ZukunftsTour im Gespräch mit Akteur*innen.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (l.) und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (r.) auf der Hamburger ZukunftsTour im Gespräch mit Akteur*innen.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (l.) und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (r.) Foto: Claudia Hammermüller

In der Poli­ti­k­arena zur Zukunfts­Tour in Hamburg gaben sich Bundes­ent­wick­lungs­mi­nister Gerd Müller und Hamburgs Erster Bürger­meister Olaf Scholz die Ehre. Neben der aktu­ellen Flücht­lings­si­tua­tion kam dabei auf, wie fair die deut­sche Wirt­schaft eigent­lich sein kann – und ob wir nicht eine Frie­dens­steuer auf Rüstungs­exporte einführen sollten. Ein kommen­tie­render Bericht von Albert Wenzel und Claudia Hammer­müller.

Podium Zukunftstour Hamburg

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (r.) und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (l.) stellen sich den Fragen des Publikums, Herbert Schalthoff (m) moderiert und hakt nach. Foto: Claudia Hammermüller

Globale Entwick­lung – Was können wir in Hamburg tun?“ Unter dieser Frage­stel­lung führt Jour­na­list und Mode­rator Herbert Schalt­hoff durch die Poli­ti­k­arena. Nach vorbe­rei­teten Gruß­worten, Reden und einer kurzen Inter­view­runde mit gela­denen Gästen geht es endlich zur Sache: Offene Politik: Antworten auf Fragen aus dem Publikum.“ Eine erste Frage bezieht sich auf die entwick­lungs­po­li­ti­sche Rolle von Agrar­chemie- und Saat­gut­kon­zernen wie Mons­anto. Minister Müller schlägt in seiner Antwort den Bogen zu seiner persön­li­chen Geschichte als Sohn eines bayri­schen Klein­bauern: Er finde auch, dass beson­ders die kleinen Akteure unter­stützt werden müssen – und er selbst sei kein Freund von Firmen wie Mons­anto. Aus seinem Minsit­e­rium fließe auch kein Geld an diese Konzerne. Darauf, dass Unter­nehmen wie Mons­anto, BASF und Bayer den welt­weiten Saat­gut­markt weitest­ge­hend beherr­schen und damit auch entwick­lungs­po­li­tisch eine wich­tige Rolle spielen, geht er nicht ein.

Persön­liche Geschichten und frag­wür­dige Vorschläge

Das Vorgehen, mit persön­li­chen Geschichten Gesagtes zu illus­trieren, zieht sich durch die Veran­stal­tung: In seiner einfüh­renden Rede spricht Minister Müller unter anderem davon, dass ein erheb­li­cher Teil des deut­schen Wohl­stands auf armen, entwick­lungs­schwa­chen Ländern aufbaue. Er benennt die Stan­dard­bei­spiele Kaffee, Baum­wolle und Smart­phones – und berichtet von seinem Besuch in einer Kobalt­mine im Kongo. Dass der Bundes­ent­wick­lungs­mi­nister aber auch unor­thodox kann, beweist er mit seinem Vorschlag auf eine Frage zu den deut­schen Waffen­ex­porten: Warum legen wir nicht eine Frie­dens­ab­gabe auf Rüstungs­güter?“ Dabei weißt er sogar darauf hin, dass es diesen Vorschlag so bisher noch nicht gegeben habe. Er scheint Applaus zu erwarten – doch der bleibt aus.

Publikum der Politikarena in Hamburg

Kritisches Publikum zur Politikarena in Hamburgs Fischauktionshalle. Foto: Claudia Hammermüller

Kann ein Export­welt­meister fair handeln?

Auch poli­ti­ko­range stellt via Twitter eine Frage ans Podium: Wie kann Deutsch­land Export­welt­meister sein und gleich­zeitig fair handeln? Stich­wort Handels­bi­lanzen“ Polit­chef Herbert Schalt­hoff lobt die Frage sogar als eigent­lich ganz schlau“ und über­gibt sie an Olaf Scholz. Der über­legt kurz und antwortet schließ­lich, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun habe. Deutsch­land expor­tiere haupt­säch­lich teure Konsum­güter, vor allem Autos. Und die seien nun einmal gut bezahlt. Außerdem sei Deutsch­land auch einer der größten Impor­teure, das werde gern vergessen. Unser wirt­schaft­li­cher Erfolg beruhe genau auf dieser Kombi. Ein State­ment dazu, dass mit Welt­meis­tern, also Gewin­nern, zwangs­läufig auch Verlierer einher­gehen müssen, bleibt er schuldig. Statt­dessen konzen­triert sich Hamburgs Erster Bürger­meister in seiner Antwort lieber auf die Importe, denn dabei stelle sich seiner Meinung nach die Frage des fairen Handelns zuerst.

Faire Importe?

Dass jede*r in alltäg­li­chen Kauf­ent­schei­dungen dazu beitragen kann, welt­weit faire Arbeits- und Handels­be­din­gungen zu unter­stützen, scheint für die Anwe­senden außer Frage zu stehen. Olaf Scholz appel­liert dennoch und gibt zu bedenken, dass in Deutsch­land teil­weise zu Preisen konsu­miert werde, die nicht möglich wären, wenn auf der ganzen Welt Löhne wie bei uns gezahlt werden würden. Selbst wenn es nur der Mindest­lohn von 8,50 Euro sei. Fairer Handel ist eine mora­li­sche Kate­gorie, die wir in unserer ökono­mi­schen Welt umsetzen wollen“, lautet sein State­ment. Daran anknüp­fend wieder­holt er das Mantra der Veran­stal­tung, dass dafür jeder gefragt sei. Dass der Begriff fair‘ sich hierbei nicht nur auf die Herstel­lungs­be­din­gungen der einzelnen Produkte beziehen könnte, sondern auch auf die gesamt­wirt­schaft­li­chen Verhält­nisse zwischen mitein­an­dern handelnden Ländern, lässt er nicht anklingen. Poli­ti­sche Ziel­stel­lungen und wirt­schafts­po­li­ti­sche Instru­mente könnten ebenso in der mora­li­schen Kate­gorie des Fairen gedacht werden – dabei kann sich die Politik nicht so leicht aus der Affäre ziehen.

Vom freien zu einem fairen Markt?

Denn dass Deutsch­land im Jahr 2014 nach China das Land mit dem größten Handels­bi­lanz­über­schuss war, findet in Scholz‘ Antwort ebenso wenig Erwäh­nung. Seit 1952 erzielt die deut­sche Wirt­schaft durch­gängig Export­über­schüsse – nicht umsonst schmü­cken wir uns regel­mäßig mit dem Titel Export­welt­meister“. 2013 leitete die EU-Kommis­sion deswegen sogar eine Unter­su­chung ein um zu prüfen, ob Deutsch­land mehr tun könne, um wirt­schaft­liche Ungleich­ge­wichte inner­halb der EU-Staaten zu verrin­gern – zu starke Leis­tungs­bi­lanz­über­schüsse werden als stabi­li­täts­ge­fähr­dend einge­stuft.

Gerd Müllers Aussage zur Hamburger Poli­ti­k­arena, dass entschei­dend ist, dass wir den Markt vom freien, zu einem fairen Markt ändern“, sollte also nicht nur bei den einzelnen Bürger*innen ansetzen. Export­welt­meister zu sein ist schön und gut, aber sich selbst an die eigene Nase fassen und vom Kuchen etwas abzu­geben, ist meis­tens fairer. Das sollte sich jede*r Einzelne und auch die gesamte Wirt­schaft zu Herzen nehmen.

An die eigene Nase fassen

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (l.) fasst sich beim Rundgang auf der Zukunftstour in Hamburg mit dem Erstem Bürgermeister der Hansestadt, Olaf Scholz, (r.) an die eigene Nase. Foto: Claudia Hammermüller


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